Secret Circle - ganz privat

■ Portrait einer klandestinen südkoreanischen Studentengruppe

Seoul (taz) - Wie organisiert sich studentischer Protest in einem autoritären Staat wie Südkorea, wofür kämpfen die Studenten? Die in diesen Wochen fast täglich stattfindenden Demonstrationen werden meist von kleinen, geheim agierenden studentischen Gruppen geführt, die sich inzwischen an den Universitäten der Hauptstadt gebildet haben. Wieviele dieser sogenannten „Secret Circles“ insgesamt existieren, läßt sich schwer überblicken. Nach Regierungsangaben sind es allein im Raum Seoul 72 , von denen die meisten den 1986 gegründeten radikalen Untergrundorganisationen Chamintu und Minmintu angehören. Zwischen den Gruppen bestehen Kontakte, über die landesweite Protestaktionen koordiniert werden. Die geheimen Zellen haben in der Regel zwischen fünf und 30 Mitglieder. Einer von ihnen ist Kim Sung Hoc (der natürlich nicht so heißt). Trotz aller damit verbundenen Risiken bereitet er an seiner Seouler Universität regelmäßig Demonstrationen vor. Bisher ist er zweimal verhaftet worden, das erste mal bei der Reagan–Demo 1985, das zweite Mal nach der Besetzung des amerikanischen Kulturzentrums im gleichen Jahr. Seine Erfahrungen: „Jedesmal mußte ich unterschreiben, daß ich meine politischen Aktivitäten beenden werde. Wenn jetzt eine Demonstration geplant wird, kreuzt die Polizei schon verher bei mir zu Hause auf und bewacht mich. Meinen Eltern machen sie Vorwürfe wegen ihrem mißratenen Sohn.“ Aber er hat Glück gehabt. Die Knäste hat er nie länger als zwei Wochen von innen gesehen. Nach Jahren des Straßenkampfes wird in Kims Gruppe jetzt verstärkt theoretisch nach einer Lösung gesucht. Linke Literatur aller Arten, vor allem aber die von der staatlichen Zensur streng verbotenen marxistischen Klassiker, kursieren als Kopien und werden auf den wöchentlichen Treffen heiß diskutiert. Ein Teil der jüngeren Professoren, die die Studenten in ihren Forderungen nach Demokratisierung und Menschenrechten unterstützt, sind bei Auswahl und Beschaffung der Literatur behilflich. Um die Stellung Südkoreas im kapitalistischen Weltsystem zu verstehen, werden bevorzugt Imperialismusanalysen von Lenin bis zur lateinamerikanischen Dependenztheorie gelesen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit Südkoreas von den USA steht dabei im Mittelpunkt der Analyse. „Wir verstehen uns als antikapitalistische, antiimperialistische und nationalistische Gruppe und glauben, daß Südkorea vor allem aus der Bevormundung der USA und seiner militärischen Statthalter befreit werden muß, um eine demokratische Gesellschaft aufzubauen“, lautet ein typisches Statement von einem Mitglied des „Secret Circle“. Die überwiegend aus der Ober– und Mittelschicht stammenden Studenten vernachlässigen dabei geflissentlich die Rolle der einheimischen Eliten, die ja nun für einen Gutteil der menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Darüber hinaus wehrt sich die südkoreanische Studentenbewegung ähnlich wie die deutschen 68er gegen den ideologischen Mief und den grenzenlosen Wachstumsfetischismus der Wirtschaftswundergesellschaft. Doch der eigene Weg ist noch nicht gefunden, und an den in westlichen Ländern diskutierten Themen wie Atomenergie, Aufrüstung oder Umweltfragen besteht hier kaum Interesse. In der Runde sitzen nur wenige Frauen und dies - so wird mir bestätigt - ist durchaus repräsentativ für die Studentenbewegung. Kurz davor hatte eine Studentin im Uni–Cafe auf die konservative Sturheit ihrer ansonsten so kritischen Kommilitonen geschimpft: „Viele der Studenten, die immer auf jede Demo gehen, versuchen, ihren Freundinnen dieses Engagement zu verbieten mit dem Argument, das sei keine Frauensache“. Aus dem „Secret Circle“ antwortet mir dazu ein männlicher Student mit erstaunlicher Offenheit: „Frauen sind seit jeher in der koreanischen Gesellschaft nicht zuletzt aufgrund des Einflusses des Konfuzianismus unterprivilegiert. Die Emanzipation der Frau wird bei uns noch Jahrzehnte dauern, und auch wir sind nur Kinder unserer Zeit und können dem Anspruch nach voller Gleichberechtigung sicher nicht gerecht werden.“ An einen schnellen Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse glaubt von den Anwesenden auch sonst niemand. Um so erstaunlicher ist die Energie, mit der die „Demonstration–Students“, wie sie sich selbst nennen, unter hohem persönlichen Risiko die schwer erhältlichen Kopien von Rosa Luxemburg ins Koreanische übersetzen, um sie einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen. Allgemeine Ratlosigkeit herrscht über die Frage, wie man die gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis umsetzen könne. Kontakte zur philippinischen New Peoples Army bestehen, aber deren Guerillataktik scheint für Südkorea nicht adäquat. Die christlichen Protestgruppen hält man für idealistisch, das bürgerliche Sammelbecken NKDP und seine Abspaltung für reformistisch. Auch zu unabhängigen Gruppen bestehen wenig Kontakte. „Unsere Hoffnungen“, resümiert einer der Anwesenden, „richten sich vor allem auf eine sich radikalisierende Arbeiterbewegung.“ Einen Gutteil der inzwischen existierenden illegalen Gewerkschaften haben aus den Hochschulen entlassene Studenten selbst gegründet. Dirk Messner