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Qualen des Wartens im Todestrakt

■ Vier Jahre lang warteten Darby Williams und Perry Cobb im Todestrakt auf ihre Hinrichtung, bevor ein Berufungsgericht das Urteil revidierte / „Es ist immer einfacher, zwei Nigger zu bestrafen“

Aus Chicago Andrea Böhm

„Keiner weiß, was der Todestrakt bedeutet, bevor er nicht selbst in der Zelle gesessen hat.“ Darby Williams spricht aus Erfahrung. Vier Jahre waren er und sein Mitangeklagter Perry Cobb im Todestrakt des US–Bundesstaates Illinois inhaftiert. Ur sprünglich zum Tode auf dem elektrischen Stuhl verurteilt, drohte ihnen ab 1983 die Hinrichtung durch eine tödliche Injektion. Das Abgeordnetenhaus des Bundesstaates hatte die neue Exekutionsform per Gesetz eingeführt. Sie sei „humaner“, befanden die Politiker. Daß Darby Williams und Perry Cobb weder auf die eine noch auf die andere Weise ums Leben kamen, verdanken sie engagierten Rechtsanwälten und Gegnern der Todesstrafe - und „göttlicher Fügung“, wie Darby Williams meint, der im Gefängnis zum gläubigen Christen wurde. Im Februar 1979, nach 15 Monaten Untersuchungshaft, standen Cobb und Williams das erste Mal vor einem Geschworenengericht in Chicago. Die Anklage lau tete auf Raubmord an dem Besitzer einer Imbißbude und einem seiner Kunden. Die Angeklagten bestritten, etwas mit dem Verbrechen zu tun zu haben und weigerten sich, auf einen Geständnishandel der Staatsanwaltschaft einzugehen. Keiner ließ sich durch das Versprechen auf Strafmilderung zum Kronzeugen machen. An Beweis material blieb nicht viel übrig außer der belastenden Aussage eines Zeugen, der selbst unter Tatverdacht stand. Den Geschworenen in den ersten beiden Verfahren war das nicht genug. Der dritte Prozeß wurde im September 1979 eröffnet. Kurz vor Beginn der Verhandlung zogen zwei Alibizeugen für Williams ihre Aussagen zurück, nachdem ihnen die Staatsanwälte strafrechtliche Konsequenzen angedroht hatten. Weitere Zeugen der Verteidigung durften nicht gehört werden. Diesmal hatte die Jury keine Schwierigkeiten bei der Urteilsfindung. Einstimmig sprachen sie Cobb und Williams schuldig und verhängten die Todesstrafe. Bürgerrechtsgruppen protestierten gegen das Urteil, da es aufgrund von rassistischen Vorur teilen zustande gekommen sei. Die Verurteilten waren Schwarze, die Opfer Weiße; bei der Auswahl der Geschworenen waren systematisch alle Schwarzen ausgeschlossen worden. „Es ist immer einfacher, zwei Nigger für so etwas zu bestrafen“, kommentierte Darby Williams sein Todesurteil. Während Anwälte und Mitarbeiter der „Illinois Coalition Against The Death Penalty“ sich für die Wiederaufnahme des Verfahrens einsetzten, durchlebten Cobb und Williams vier Jahre zermürbenden Wartens in der Isolation des Todestraktes. „Man sitzt in der Zelle“, beschreibt Williams, „und für eine Sekunde flackert das Licht. Dann kommen die Wärter händereibend vorbei und sagen, Mann, das Ding funktioniert wirklich gut. Mit dir werden wir eine Nummer abziehen, wenns soweit ist.“ Doch soweit kam es nicht. 1983 hob ein Berufungsgericht das Urteil wegen Verfahrensfehlern auf und ordnete eine neue Verhandlung an. In diesem vierten Prozeß mußten die Staatsanwälte auf Nachfragen der Verteidiger zugeben, an ihren wichtigsten Zeugen der Anklage 1.200 Dollar ausgezahlt zu haben. Trotzdem endete auch dieses Verfahren ohne Urteil: sechs Geschworene hielten die Angeklagten immer noch für schuldig, sechs wollten sie frei sprechen. Es war eine fünfte Verhandlung nötig, um dieses Verfahren zu beenden. Unter dem Beifall der Angehörigen im Zuschauerraum sprach Richter Hett am 20. Januar Cobb und Williams von allen Punkten der Anklage frei. Wie sein Leben nun, nach neun Jahren Untersuchungshaft und Todestrakt, weitergehen soll, weiß Perry Cobb nicht. „Keine Ahnung, was ich jetzt machen werde. Bevor das alles passiert ist, hatte ich eine vielversprechende Karriere. Jetzt habe ich nichts. Wer stellt schon einen 44jährigen ein, der gerade aus dem Todestrakt entlassen wurde.“ Perry Cobb und Darby Williams sind zwei von über 300 Menschen, die in den USA seit 1900 unschuldig zum Tode verurteilt worden sind. In mindestens 25 Fällen wurden Todesurteile an Unschuldigen tatsächlich vollstreckt. Landesweit warten fast 2.000 Menschen auf ihre Hinrichtung. Die Hälfte sind Schwarze und Angehörige anderer Minderheiten. Fast alle stammen aus sozial schwachen Schichten. Seit 1977 starben über 70 Menschen auf dem elektrischen Stuhl, in der Gaskammer oder durch die Injektion eines tödlichen Giftes. Exekutionen sind zur Routine geworden - besonders in den Bundesstaaten Texas, Florida, Georgia und Louisiana. Allenfalls die Hinrichtungen von Menschen, die eine neue Sparte in den Statistiken der Henker erfordern, erregen noch Aufsehen: Die Vollstreckung von Todesurteilen gegen Frauen, psychisch Kranke und jugendliche Straftäter, wie Charles Rumbaugh und Jay Pinkerton in Texas und James Terry Roach in South Carolina. Alle drei waren zur Zeit des Verbrechens jünger als 18 Jahre. Erst im Juli 1986 verurteilte ein Gericht im Bundesstaat Indiana die 16jährige Paula Cooper wegen Mordes zum Tode. Zur Tatzeit war die ehemalige Schülerin 15 Jahre alt. Der zuständige Staatsanwalt lobte das Urteil als „historisch und couragiert“. Unter dem Postulat des „Kriegs gegen das Verbrechen“ (“War on crime“) ist jedes Mittel recht - auch, und vor allem die Todesstrafe. Neu daran ist, daß die Verantwortlichen sich bemühen, den Anschein der Gewalttätigkeit bei Hinrichtungen zu vermeiden. Immer mehr Bundesstaaten ersetzen Gaskammer, elektrischen Stuhl oder Galgen durch die Injekti wählen. Von Gegnern der Todesstrafe als Perversion des menschlichen Denkens verurteilt, wird diese neue Technik des Tötens von den Befürwortern als „human“ und „schmerzlos“ gepriesen. Geplant und durchgeführt wird ein steriles und emotionsloses Ritual, bei dem sich dank moderner Technologie niemand mehr die Hände schmutzig machen muß. Als Charles Bass am 3.12.1986 in Texas durch eine Injektion getötet wurde, fragten Journalisten Generalstaatsanwalt Jim Mattox nach dem Verlauf der Exekution. „Alles ging einwandfrei. Man sollte nur in Zukunft den Angehörigen die Anwesenheit bei der Hinrichtung ausreden. Gefühlsausbrüche schaffen zu viel Unruhe.“

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