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Shultz setzt Bonn Rakete auf die Brust

■ Falls die Westeuropäer die von der UdSSR vorgeschlagene Null–Lösung ablehnen, müssen sie bereit sein, neue Raketen zu stationieren / Unionspolitiker fühlen sich durch US–Außenminister erpreßt

Bonn (dpa/taz) - Die Amerikaner, so zitiert die Deutsche Presseagentur einen nichtgenannten Kanzlermitarbeiter, „setzen uns die Pistole auf die Brust“. Als glatte Erpressung empfinden offenbar etliche Unionspolitiker die am Donnerstag abend geäußerte Auffassung des US–Außenministers Shultz, die NATO–Verbün deten müßten im Falle einer Ablehnung der von Gorbatschow vorgeschlagenen Null–Lösung für Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite bereit sein, dann auch neue US–Raketen dieser Kategorie zu stationieren. Da aus geographischen Gründen dafür nur die Bundesrepublik in Frage kommt, wird in Bonn die Intervention von Shultz als klare Parteinahme für Genscher interpretiert, der im Gegensatz zur Union seine Sympathie für die Null– Null–Lösung mehrfach signalisiert hatte. In einer über Satellit geführten Pressekonferenz mit Journalisten in verschiedenen europäischen Hauptstädten hatte Shultz ausgeführt, die Sowjets hätten 600 bis 700 Atomsprengköpfe auf Raketen im Bereich zwischen 500 und 1.000 Kilometern, die USA dagegen überhaupt keine. „Wir können das Angebot annehmen, all diese Sprengköpfe zu beseitigen, oder wir können eine Vereinbarung irgendwo dazwischen suchen, bei der die Sowjets auf eine bestimmte Zahl verringern und wir diese Zahl stationieren. Wenn das die Alternative ist, die wir verfolgen sollen, dann wollen wir natürlich sicher sein, daß wir Ernst machen und stationieren. Wir wollen kein leeres Recht.“ Eindeutig machte Shultz klar, daß die US–Regierung es vorzieht, die von Gorbatschow angebotene Lösung zu akzeptieren. „Wir müssen vorsichtig sein, aber wir sollten keine Angst haben, ein Ja als Antwort auf unsere eigenen Vorschläge zu akzeptzieren.“ Schließlich, so Shultz weiter, hätten die USA diese Vorschläge 1981 selbst eingebracht. Im übrigen sei es „schwer vorstellbar, daß ein solches Abkommen uns militärisch schwächen könnte“, so Shultz an die Adresse der Stahlhelmer in der Union. „Wie kann man ernsthaft argumentieren, daß es besser wäre, wenn wir keine und die Sowjets einige Kurzstreckenraketen hätten, als wenn wir beide keine hätten?“ wollte Shultz von den Bundesdeutschen wissen. Es blieben genügend Atomwaffen übrig, die die Grundlage für die NATO–Politik der „flexible response“ gewährleisten würden. Ohne auf die Stellungnahme von Shultz einzugehen, bekräftigte am Freitag der stellvertretende Regierungssprecher Herbert Schmülling, daß die Spitzen der Bundesregierung am Montag eine gemeinsame Linie in der zunehmend verworrenen Raketendebatte finden wollen. Von Streitigkeiten wollte er nicht sprechen, gab jedoch zu, daß „unterschiedliche Meinungsansätze“ zur Frage des Umfangs einer Null– Lösung vorhanden seien. Fortsetzung auf Seite 6 Kommentar auf Seite 4 WELT Es ist ein Weinen in der Welt Als ob der liebe Gott gestorben ist, Und der bleierne Schatten, der niederfällt, Lastet grabenschwer. Komm, wir wollen uns näher verbergen... Das Leben liegt in aller Herzen Wie in Särgen. Du! Wir wollen uns tief küssen - Es pocht eine Sehnsucht an die Welt, An der wir sterben müssen. ELSE LASKER–SCHÜLER ENDE In übereinstimmender Kritik hat dagegen eine breite Front von FDP– und SPD–Politikern Versuche verurteilt, bei den Abrüstungsverhandlungen die erhoffte Null–Lösung nur auf die Mittelstreckenraketen größerer Reichweite zu beschränken. Die „tiefe Spaltung“ der Bundesregierung in dieser Frage wurde vom SPD– Fraktionsvorsitzenden Vogel als „unerträglich“ bedauert. FDP– Verteidigungsexperte Feldmann warnte vor einer neuen Nachrüstungsdebatte und einem „schweren Konflikt“ in den deutsch–amerikanischen Beziehungen. Auch SPD–Verteidigungsexperte Horn warnte vor einer Entscheidung für neue Raketen. FDP– Politikerin Hamm–Brücher warnte davor „den Amerikanern nicht in den Arm zu fallen.“ Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, Ronneburger, stellte fest, jede Verringerung von Raketen vermindere die Bedrohung der Bundesrepublik. Feldmann kritisierte scharf den CDU–Abrüstungsexperten Rühe, der gegenwärtig in Washington Gespräche über Abrüstung führt: „Herr Rühe muß dringend davor gewarnt werden, dem deutsch– amerikanischen Verhältnis einen schweren Konflikt und der Bundesrepublik eine neue Nachrüstungsdebatte zuzumuten“.

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