: Hanauer Atomschmiede RBU nach Unfall stillgelegt
■ 23 Arbeiter nach Austritt von hochgiftigem Uranhexafluorid in ärztlicher Betreuung / Zeitpunkt der Wiederinbetriebnahme noch unklar
Frankfurt (taz) - Nach einem schweren „Störfall“ in der Nacht zum Dienstag mußte die Hanauer Atomschmiede RBU (Reaktor– Brennelemente–Union) vorläufig stillgelegt werden. Aus einer defekten Rohrleitung war hochgiftiges Uranhexafluorid entwichen. 23 Beschäftigte mußten sich in ärztliche Behandlung begeben. Der technische Leiter der RBU, Krellmann, sprach von einem „ganz normalen Störfall“, bei dem wie üblich niemand ge fährdet worden sei. Aus Uranhexafluorid entsteht in Verbindung mit Wasser - dazu reicht schon die Luftfeuchtigkeit - die stark ätzende, hochgiftige Flußsäure. Das Einatmen der Dämpfe führt zu schwersten Verletzungen und zum Tod, wie bei dem Unfall in der Uranverarbeitungsanlage in Webbers Fall (Oklahoma), wo am 4. Januar 1986 ein Arbeiter ums Leben kam. Bei dem RBU–Unfall sei das Auslaufen des Uranhexafluorid glücklicherweise rechtzeitig bemerkt worden. Das als weißer Nebel sichtbare Stoffgemisch habe die Mitarbeiter „Sekunden später“ alarmiert, worauf die Anlage gestoppt und die Ventile geschlossen wurden. Erst Mitte April war es in der Uranverarbeitungsanlage des französischen AKWs Pierrelatte zu zwei ähnlichen Störfällen mit Uranhexafluorid gekommen. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Sieben Arbeiter waren dabei „leicht verletzt“ worden. Auch die RBU selbst kann auf eine lange Unfall–Tradition zurückblicken. Im Februar 84 entwich bei der Reinigung eines Transportbehälters eine Uranhexafluorid–Wolke und im Februar 86 trat das giftige Gas bei der RBU erneut aus. Vier Arbeiter konnten sich seinerzeit gerade noch in Sicherheit bringen. Gleichfalls 1986 entwichen neun Monate lang täglich rund 9.000 Liter kontaminiertes Kühlwasser aus einem Haarriß im Leitungssystem der RBU. In einer ersten Stellungnahme zu dem neuerlichen RBU–Unfall erklärte der Landesvorstandsprecher der hessischen Grünen, Wolf Schwarz, daß sich diejenigen, die sich bisher so vehement für die Erhaltung der Arbeitsplätze bei den Atomfabriken eingesetzt hätten, jetzt fragen lassen müßten, wie lange sie diese „radioaktive Zeitbombe“ in Hanau denn noch „ticken“ lassen wollten: „Es muß endlich Schluß gemacht werden mit dieser permanenten Gefahrenquelle.“ Die hessischen Grünen forderten die „schonungslose Untersuchung“ und die „Offenlegung der Ursachen und des Ausmaßes“ des Zwischenfalls. Die Grünen im hessischen Landtag forderten den neuen hessischen Umweltminister Karlheinz Weimar (CDU) brieflich auf, den Landtag auf der kommenden Plenarsitzung sowohl über den Störfall bei der RBU als auch über die Schmiergeldaffäre bei der Transnuklear umfassend zu informieren. Ob die von Wallmann angekündigte „liberale Erneuerung Hessens“ die Transparenz in Sachfragen und die umfassende Aufklärung der Parlamentarier einschließe, könne so von Weimar gleich unter Beweis gestellt werden, meinte der Landtagsabgeordnete der Grünen, Chris Boppel, im Gespräch mit der taz. Der hessische Umweltminister Weimar selbst teilte gestern mit, daß die RBU–Anlage erst nach der genauen Klärung der Unfallursache wieder in Betrieb gehen dürfe. Ohnehin müsse die betroffene Anlage zunächst gründlich gereinigt und dekontaminiert werden. Zum jetzigen Zeitpunkt könne noch keine abschließende Wertung der Hanauer Vorgänge vorgenommen werden, meinte der Umweltminister, doch habe nach dem derzeitigen Erkenntnisstand keine Beeinträchtigung der Umwelt stattgefunden.
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