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Schöne Neue Welt in Indien

■ Indien hat seine ersten „Retorten–Babies“: mit ungebrochenem Fortschrittsglauben wird der Anschluß an die westliche Medizin bejubelt / Die neuen Technologien gelten als Mittel gegen die Überbevölkerung und bedeuten die weitere Abwertung der Frauen

Von Christa Wichterich

Das King Edward Medical Hospital in Bombay stammt, wie der Name sagt, noch aus kolonialen Zeiten. Die bombastische Architektur kündet von alter Pracht und Herrlichkeit. In der riesigen Eingangshalle warten und lagern Angehörige, Besucher, Patienten. Ich frage mich zur gynäkologischen Abteilung „Unfruchtbarkeit“ durch. Vor dem Sprechzimmer von Dr. Indira Hinduja warten bereits über 20 Frauen, einige mit ihren Männern. Die Schwester meint, eigentlich müsse sie schon längst da sein, die neuerdings so berühmte Ärztin. Sie schickt mich zum OP, um nachzufragen, ob Dr. Hinduja gerade operiert. Auf dem Weg dorthin werden Schwerkranke und Frischoperierte auf Metallpritschen ohne Matratze, ohne Laken, an mir vorbeigeschoben. Jemand hat einen blutigen und eitrigen Verband in eine Ecke geworfen. Zwei Frauen sitzen zusammengekauert auf einer Holzbank und heulen hemmungslos laut. Aus Versehen laufe ich in einen Krankensaal mit etwa 30 Betten - Türen gibt es nicht. Indira Hinduja ist an diesem Tag nicht aufzutreiben. Auch am nächsten warte ich vergebens mit den unfruchtbaren Frauen auf sie; keine von ihnen meckert oder stöhnt, während ich vor Ungeduld schwitze. Die stolze „Mutter“ Das städtische KEM–Hospital hat in den letzten Monaten viel Staub in der indischen Öffentlichkeit aufgewirbelt. Im Herbst protestierten dort junge Ärzte gegen ihre miserablen Ausbildungsbedingungen; einige ungeklärte Todesfälle warfen heftige Zweifel an der medizinischen Versorgung auf. Im selben Krankenhaus wurde am 6. August vergangenen Jahres das erste indische In–vitro– Baby geboren. Schließlich treffe ich Indira Hinduja im Institut für Reproduktionsforschung (IRR), das, mit Regierungsgeldern aus Delhi finanziert, direkt gegenüber vom KEM–Hospital liegt und diesem forschend zuarbeitet. Als erstes überreicht die Ärztin mir einen Umschlag mit einer Neujahrskarte. „Das ist mein erstes Baby!“ sagt sie im Brustton unverkennbaren Mutterstolzes. Ich bin erstmal sprachlos. Sie wirkt mehr wie eine biedere mittelständische Hausfrau von nebenan, nicht wie eine ehrgeizige Reproduktionsingenieurin. Seit vier Jahren hat sie an Eiern und Spermien in den elektronischen Labors des IRR herumgebastelt; mit Mäuse– und Hamstereiern hat sie Fingerübungen gemacht, ihre Erfahrungen dann auf Menschen angewendet und sich Schritt für Schritt die Qualifikation für die künstliche Befruchtung erworben. Seit 1984 hat sie aus dem KEM–Hospital Patienten rekrutiert, die sich für In–Vitro– Fertilisation eigneten. Ich frage sie nach ihrer Motivation. War es primär Forscherehrgeiz oder Hilfe für sterile Frauen? „Ursprünglich kamen wir auf die Idee, weil wir in Indien ein Überbevölkerungsproblem haben. Wenn wir also Frauen motivieren, sich sterilisieren zu lassen, müssen wir uns doch fragen: was ist, wenn sie später doch noch mal ein Kind haben wollen? Es ist ja ein sehr schwieriger operativer Eingriff, das wieder rückgängig zu machen. Und wenn man das Frauen erklärt, die analphabetisch sind, schrecken sie zurück. Wir dachten also, wenn es möglich wäre, sie mit einer Laparoskopie (Bauchhöhlenspiegelung) zu sterilisieren und mit einer Laparoskopie ihnen auch wieder zu einem Kind zu verhelfen, wenn sie das später wollen, dann würden sie wahrscheinlich Sterilisation viel leichter akzeptieren.“ Diese Logik will mir nicht in den Kopf: künstliche Befruchtung als Maßnahme zur Begrenzung des Bevölkerungswachstums? Indira Hinduja hat damit kein Problem: „Die Tatsache, daß wir eine Überbevölkerung haben, bedeutet doch nicht, daß den Frauen, die durch diese Behandlung empfangen können, dies verweigert werden sollte. Es ist doch nichts weiter als eine Behandlungsmethode, eine Technik, die man bald in jedem Lehrbuch nachlesen kann. Familienplanung, Familienwohlfahrt sind Maßnahmen, um die Familien glücklich zu machen, sei es, daß der Abstand zwischen den Kindern größer wird, die Zahl der Kinder begrenzt wird oder sie wenigstens ein Kind bekommen.“ Fortschrittsglaube ungebrochen So überraschend die Begründung für die IVF sein mag, so zeigt sie doch, daß die Begrenzung der Fruchtbarkeit und ihre künstliche Herstellung zwei Seiten derselben Medaille sind, der Bevölkerungs kontrolle und Gebärmütterverwaltung. Schöne neue Welt - nicht nur in den Industrienationen, sondern auch in der Dritten Welt. Als glückliche Familie der Zukunft sieht Dr. Hinduja also die technisch normierte Familie. Das Hantieren mit Ei und Samen außerhalb des Körpers banalisiert sie zu einer Allerweltsbehandlung. Ihren ungebrochenen Fortschrittsglauben teilte auch die indische Presse, als sie im letzten Jahr Indira Hindujas Erstgeburt mit unverhohlenem Nationalstolz als Achtungserfolg für die indische Medizin in der harten internationalen Wissenschaftskonkurrenz bejubelte. Diskussionen werden nicht über den Sinn und die Perspektive der künstlichen Befruchtung geführt, sondern lediglich über die Kosten. Adoption ist zum Beispiel trotz überfüllter Kinderheime kein Thema. Indira Hinduja meint, daß das Problem der Waisenkinder von der ganzen Gesellschaft gelöst werden muß und nicht den sterilen Paaren aufgehalst werden darf. Sie gibt zu, daß die Kosten für die In–Vitro–Fertilisation horrend sind und sie deshalb nur für die Reichen in Privatkliniken erschwinglich sein wird. Im Fall des KEM–Hospitals und des IRR teilen sich die Stadt Bombay und der indische Staat die Kosten, denn im KEM–Hospital zahlen die Patienten fast nichts. Mit öffentlichen Geldern wurde hier der medizinischen Privatwirtschaft der Weg zu einem neuen profitträchtigen Markt geebnet. Indira Hinduja verficht ihr IVF–Programm vehement: „Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum ein bestimmtes Land nicht wissenschaftliche Fortschritte machen sollte. Wir können doch nicht immer von der Hilfe der Industrienationen abhängig bleiben. Die Leute, die es sich leisten können, sind zur Behandlung ins Ausland gefahren, nach London, Australien usw. ... Wenn wir die Technik in unserem eigenen Land ausführen können, warum nicht? Wir müssen uns doch auch entwickeln.“ Kolonialisierung der Frauen Dr. Hinduja nimmt einen dicken Stapel Briefe von ihrem Schreibtisch. „Sehen Sie, daß ist die Post von heute. Soviele Anfragen bekomme ich täglich. Aus dem ganzen Land. Außerdem eine Menge Anrufe.“ Der Behandlungsbedarf übersteigt ihre Kapazitäten bei weitem. Nur acht bis 15 Paare nimmt sie pro Monat als neue Patienten an. Die Erfolgsquote liegt zur Zeit lediglich bei 10 bis 15 Um sie zu steigern und d.h. auch die Kosten zu senken, wird an Eiern und Sperma sorgfältig untersucht, warum die Befruchtung funktioniert oder aber nicht. Den Verdacht, daß solches Material sich zu Chromosomenchirurgie und Genmanipulationen geradezu anbietet, weist die Ärztin weit von sich. „Jede Technik hat nun mal gute und schlechte Implikationen. Aber diese Technik bietet breite Möglichkeiten, in Zukunft genetische Schäden zu verhindern. Wir können diese guten Chancen doch nicht einfach ignorieren. Außerdem können wir den wissenschaftlichen Fortschritt ohnehin nicht aufhalten. Aber das sind ja alles Spekulationen. Im Augenblick ist einzig und allein das Paar, das ein Kind will, relevant. Es bekommt einen Platz in der Gesellschaft, findet Glück und Freude - ich sehe das ja. Warum soll ich ihm das verweigern, wenn ich das Handwerkszeug in Händen halte und es zur Verbesserung der Menschheit nutzen kann?“ Kann ein Paar nur mit Kind einen respektablen Platz in der Gesellschaft besetzen? Das gilt doch wohl nur für die Frauen, nicht aber für die Männer? Als ich versuche weiterzudenken, welche Bedeutung diese Technik für die Frauen und für die gesellschaftliche Bewertung des weiblichen Geschlechts in Indien hat, blockt Indira Hinduja ab. Sie teilt keine meiner Bedenken. In einer Gesellschaft, in der die Frau weitgehend auf die Mutterrolle reduziert wird, treibt diese Technik, die Frauen zu Lieferantinnen des Rohstoffs Ei und zu Embryobrutkästen macht, diese Reduktion noch einmal weiter. Die gesellschaftliche Zuschreibung, daß eine Frau nur als Mutter etwas wert ist, wird verstärkt. Gleichzeitig wird die Verfügbarkeit und Kontrolle über ihren Körper um eine technische Dimension erweitert, die Kolonialisierung der Frau mit neuen Mitteln vorangetrieben. Kein Zweifel, daß es von hier nur noch ein kleiner Schritt bis zur Leihmutterschaft in Indien ist: „Gebärmütter“ werden sich preiswert anmieten lassen, sei es für die Reichen im Lande oder für Westler. Arme Frauen in Indien wären wahrscheinlich mit einem Drittel des Preises zufrieden, den eine weiße Leihmutter im Westen bekommt. Eine blühende internationale Leihmütterindustrie ist nicht mehr utopisch. Tochterlose Gesellschaft Am selben Tag, an dem die Nachricht von Indira Hindujas erstem Baby durch die Presse ging, wurde auch die Geburt des ersten In–Vitro–Babys, dessen Geschlecht vorbestimmt worden war, gemeldet. Dies war allerdings Monate vorher in New Orleans auf die Welt gekommen. Ein eigenartiger Zufall in einem Land, wo in den Städten vorgeburtliche Geschlechtsselektion durch Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung zur Chromosomenanalyse) und Abtreibung von weiblichen Föten immer häufiger praktiziert wird. Außerdem lassen Nachrichten aus ländlichen Regionen befürchten, daß die Tötung neugeborener Mädchen zunimmt. Indira Hinduja gibt zu, daß sie des öfteren Anfragen bekommt, ob sich mit IVF auch das Geschlecht des Kindes bestimmen ließe, aber das würde sie halt nicht machen. Falls sie es nicht macht, so werden sich mit Sicherheit andere finden. Die Nachfrage nach Söhnen und die Profitgier werden das Angebot bestimmen. Die Mädchenvermeidungs und -vernichtungstechniken werden wie die IVF als Methode zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums verteidigt und verharmlost. Die Zwei–Kind–Familie sei eben für Inder nur mit Stammhalter akzeptabel, argumentieren die Reproduktionsingenieure. In den letzten Jahren ist eine wahre Geschlechtsbestimmungsindustrie entstanden. 1982 gab es in Bombay drei Kliniken, die öffentlich vorgeburtliche Geschlechtsbestimmung anboten. Mitte 1986 waren es bereits 20. Das Pearl Centre in Dadar hat allein 1983–84 15.900 Abtreibungen nach Amniocentesen vorgenommen. Im Harkisandas Hospital werden täglich ca. 60 Amniocentesen durchgeführt. Der Preis für eine Amniocentese ist in den letzten Jahren von 500 Rupies auf 70 bis 200 Rupies (11 bis 30 DM) gefallen. Die neueste Heldentat auf dem Medizinmarkt ist die Trennung von x– und y–Chromosomen im Samen und nachfolgende künstliche Besamung mit den handverlesenen Spermien. Die von dem amerikanischen Reproduktionsphysiologen Ericson entwickelte Methode wird seit einigen Monaten nun auch in Bombay praktiziert. Im Bundesstaat Maharasthra, dessen Hauptstadt Bombay ist, liegt ein Gesetzentwurf zum Verbot pränataler Geschlechtsbestimmung vor. Es wäre ein Fortschritt, wenn auf politischer Ebene endlich eine eindeutig ablehnende Stellung bezogen würde, denn bislang hat das zuständige Ministerium in Delhi selbst Beiträge zur tochterlosen Gesellschaft geleistet: Seine Poster zeigten z.B. Anfang 1986 erstmals die Ein–Kind–Familie: Vater - Mutter - Sohn. Doch die Hoffnung ist nicht groß, daß sich das Patriachat durch dieses Gesetz die Zügel anlegen läßt, die ihm andere Gesetze, z.B. die vielen gegen die Mitgift, bislang nicht anlegen konnten. Diejenigen, die mit den Reproduktionstechniken das schnelle Geld machen wollen, werden Wege finden, am Ball zu bleiben. Im November wurde in Calcutta das zweite indische In–Vitro– Baby geboren, und Labormutter Indira Hinduja erwartet im März ihr zweites. Sie, das betont sie beim Abschied, ist mit ihrem Beruf verheiratet.

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