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„Kein idealer Ehemann...“

■ ...urteilte das Berliner Landgericht milde über den Angeklagten und sprach ihn in zweiter Instanz vom Vorwurf der sexuellen Nötigung seiner Ehefrau frei. Denn „Vergewaltigung in der Ehe“ existiert nicht im Strafgesetz

Von Gitti Hentschel

„In Ehestreitigkeiten mischt man sich besser nicht ein.“ „Wenn ein Ehemann zuschlägt, hat er wohl einen Grund gehabt.“ An dieser Volksmeinung hat sich auch durch die Einrichtung der Frauenhäuser wenig geändert. Zwar ist seit den siebziger Jahren durch die dorthin geflüchteten Frauen öffentlich geworden, in welchem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß sie von den Ehemännern mißhandelt, vergewaltigt und gedemütigt werden. Systematisch, oft jahrelang. Doch kaum einer dieser Gewalttäter wird dafür gerichtlich belangt. Die Frauen scheuen sich meist, den eigenen Ehemann anzuzeigen, und für die Strafverfolgungsbehörden besteht, ganz im Sinne der Volksmeinung, an der Verfolgung dieser Taten innerhalb der Ehe „kein öffentliches Interesse“. In der vergangenen Woche allerdings mußte sich der 43jährige Heilpraktiker Burkhardt G. vor der 17. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts Moabit wegen Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung seiner - inzwischen geschiedenen - Ehefrau, der 36jährigen Barbara G., in der Berufungsinstanz verantworten. Laut Anklage hatte Herr G. seine Ehefrau im Juli 1983 brutal und gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen und mit Äußerungen beleidigt wie „Du Hure, ich werd dir zeigen, wie anständig gefickt wird“. Ein anderes Mal hatte er sie, so die Anklage, geprügelt, getreten und die steile Treppe vor seiner Praxis hinabgestoßen; ein drittes Mal - in Gegenwart seiner Schwägerin - zu Boden geworfen, geschlagen, mit Füßen getreten und mit einem Blumentopf verletzt. Die - zum Teil erheblichen - Verletzungen kann Frau G. durch ärztliche Atteste belegen, z.B. einen Riß in der Pofalte nach der Vergewaltigung. Um Vergewaltigung allerdings geht es vor Gericht ohnehin nicht; denn Ehefrauen können laut Gesetz nicht vergewaltigt werden. Auch in diesem Fall geht es um Körperverletzung und Nötigung. Herr G. bestreitet, wie im ersten Verfahren im Juli letzten Jahres, entschieden alle Delikte. Damals hatte ihn ein Schöffengericht des Amtsgerichts Tiergarten freigesprochen. Das Gericht hatte die angeklagten Straftaten als Bestandteil eines nicht zu entwirrenden Ehekonflikts betrachtet und im schriftlichen Urteil „Zweifel an der Glaubwürdigkeit“ der Ehefrau formuliert. Frau G., die als Nebenklägerin auftritt, will die Entscheidung unter keinen Umständen hinnehmen. Zu viel Gewalt, Erniedrigung und Verzweiflung hat sie während ihrer insgesamt achtjährigen Ehe erlitten; zu viel auch hat sie für ihr eigenes Selbstwertgefühl von dieser Gerichtsentscheidung abhängig gemacht. Das wird später in ihrer Zeuginnenaussage deutlich. Für sie sind die angeklagten Delikte nur die Spitze eines Eisbergs, einzelne Geschehnisse am Ende einer langen Reihe psychischer und physischer Quälereien und Demütigungen. Und nun kämpft sie mit dem Mut der Verzweiflung darum, daß ihr endlich einmal geglaubt, daß ihr bestätigt wird, wie gemein und niederträchtig ihr Mann an ihr gehandelt hat. Herr Biedermann Herr G. ist ein ruhig auftretender, auffallend gut gekleideter Mann mit gepflegtem Schnauzbart und graumeliertem Haar; vom Schei tel bis zur Sohle ein Biedermann, so scheint es. Nicht er, beteuert er dann vor Gericht, sondern seine geschiedene Ehefrau, habe ständig Ehekrach provoziert und sei handgreiflich geworden. Und er zeichnet von ihr, der gebürtigen Polin, das Bild einer hysterischen, geldgierigen Frau, die sein schwer verdientes Geld maßlos für sich und ihre polnische Verwandtschaft verschwendete und nie genug bekam. Bündelweise habe sie ihm Geld aus der Hosentasche entrissen, das er abends aus der Praxis mit nach Hause brachte. Sie habe gebissen, geschlagen und ihm Haarbüschel ausgerissen, wenn er Einspruch erhob. Beim Einwand des Anwalts der Nebenklägerin, warum er dann das Geld nicht zur Bank gebracht habe, gerät er aus der Fassung. Unterdrückte Aggression verrät seine Stimme, als die beiden hellhörig gewordenen weiblichen Mitglieder des Gerichts ihn hartnäckig nach der genauen finanziellen Versorgung seiner Ehefrau befragen. Mit seiner behaupteten Großzügigkeit scheint es nicht weit her zu sein: Sie verfügte weder über regelmäßiges Haushaltsgeld noch über eine Bankvollmacht; er teilte ihr nach Gutdünken Geld zu und kontrollierte ihre Einkäufe. In Widersprüche verwickelt er sich, als es um den Tatvorwurf geht, er habe seine Frau die Treppe hinabgestoßen. Längst vor ihrem Treppensturz hätte er vor ihr die Tür zu seiner Praxis abgeschlossen. Die gleiche Tür, die sie zuvor zugeschlagen haben soll. Zum Vorwurf der ehelichen Vergewaltigung wußte er „von vornherein: das würde nie funktionieren, bei so einer Frau. So behende und mit Kraft wie die ist. Das geht gar nicht.“ Szenen einer Ehe Dann tritt Frau G. auf. Eine zierliche, dezent geschminkte Frau, fast einen Kopf kleiner als der frühere Mann. Fast ohne Punkt und Komma, mit anklagender Stimme und dem Ton der immer leidenden Frau trägt nun sie die Hintergründe seiner Gewalttätigkeiten vor: die typische Leidensgeschichte so vieler mißhandelter Ehefrauen. Sie beginnt kurz nach der Heirat, als Frau G. auf Drängen ihres Mannes ihre Arbeit als Verwaltungsangestellte aufgibt. Obwohl er gut verdient, hält er sie mit Geld knapp. Sie schildert den Heilpraktiker als jähzornigen, brutalen Tyrannen, der sofort zuschlägt, wenn sie aufbegehrt und sich in keiner Weise für die beiden Kinder interessiert. Streit um Geld sei der Anlaß für viele seiner Mißhandlungen gewesen. Auf den Knien habe sie vor ihm herrutschen müssen, berichtet sie über besonders erniedrigende Szenen ihrer Ehe mit tränenunterdrückter Stimme, und „Ich glaube, es hat ihm sogar Freude gemacht, mich zu quälen. Er hat mich bespuckt und mir Bier über den Kopf gegossen.“ Auf die verständnislose Frage des Staatsanwalts „Warum haben Sie sich nicht eher getrennt?“ verweist sie auf einen Scheidungsantrag von 1980. Sie habe ihn jedoch voll Hoffnung zurückgezogen, als ihr Mann Besserung versprach. Außerdem: „Die Kinder waren klein, wo hätte ich hingehen können? Ich war doch abhängig.“ Sie habe auch wiederholt Zuflucht bei ihren Verwandten in Polen gesucht; und einmal im Frauenhaus. Ihre monotonen, zum Teil sprunghaften Schilderungen schrecklicher Erniedrigungen sind schwer auszuhalten; vor allem, weil sie selbst in diesem Leid so völlig verfangen erscheint; ihr verzweifeltes Bemühen um Gehör und um Gerechtigkeit macht sie blind für ihre Umgebung, auch für das, was das Gericht noch bereit ist anzunehmen oder nachzuvollziehen. „Was wollen Sie heute hier erreichen?“ fragt sie der Vorsitzende Richter Müller schließlich großväterlich. „Daß er sich bekennt, Reue zeigt“, bricht es aus ihr heraus. Und „Gerechtigkeit“. Denn: „Immer ist er der Sieger gewesen.“ Daß er als „Sieger“ aus dem Gericht gehen könnte, ist nach den Zeugenaussagen insgesamt schwer vorstellbar. Zwar sind da die weitgehend übereinstimmenden Aussagen von Mutter und Tochter des 34jährige Arzthelferin, beschreiben Frau G. als streitsüchtig, gewalttätig und geldgierig. Sogar Verletzungen habe sie sich selbst beigebracht und Geldscheine gehortet. Andererseits sind da die Aussagen von Bruder und Schwester von Frau G. Und es muß nicht davon ausgegangen werden, daß das Gericht, wie im ersten Verfahren, von vorneherein den polnischen Zeugen mit Vorurteilen begegnet. Allerdings ist die Schwester von Frau G. - einzige Augenzeugin einer der verhandelten Straftraten und eigens aus Polen angereist - dieses Mal deutlich unsicherer und ein wenig verschreckt. Knapper als beim ersten Mal beschreibt sie, wie Herr G. die Schwester verprügelt, getreten und ihr einen Blumentopf über den Kopf geschlagen hat. Auf genaueres Nachfragen, wohin genau der Topf geworfen und ob er zerbrochen wurde, wird sie völlig aufgeregt. Das weiß sie nicht so genau. Unstimmigkeiten zu ihrer früheren Aussage gibt es zudem in der Frage der Häufigkeit von Verwandtenbesuchen. Schließlich wird eine Nachbarin gehört, die im ersten Verfahren nicht Zeugin war. Die eindrucksvolle, resolute Frau von 83 Jahren kennt viele Vorfälle im Hause G. aus den Erzählungen von Frau G. unmittelbar nach dem Geschehen. Aber sie kann auch die Blessuren von Frau G. nach den nächtlichen Streitereien und den Polizeieinsätzen bezeugen, die sie aus der Ferne mitangehört bzw.– angesehen hat. Und sie hat die Angst der Kinder vor dem Vater selbst miterlebt. Für einen der fraglichen Abende bestätigt sie, daß die Kinder weinend zu ihr gelaufen und entsetzt berichtet hätten: „Der Vati schlägt die Mutti.“ Männerkumpanei Dennoch kommen Gericht und Staatsanwalt in seltener Übereinstimmung zu dem Ergebnis: Die Berufung ist zu verwerfen. Zwar bestätigt der Staatsanwalt der Nachbarin, „eine seriöse ältere Dame“ zu sein, die die Verletzungen von Frau G. gesehen habe. Doch für ihn bleibt als wesentliche Frage offen: „Hat er ohne Anlaß zugeschlagen oder hatte er einen Grund?“ - als hinge davon der Tatbestand der Körperverletzung ab. Deutlich wird die Männerkumpanei auch in seiner Feststellung, „daß Herr G. kein Idealbild eines Ehemannes“ gewesen sei; „aber wer ist das schon?“ Kurz und simpel macht es das Gericht: Da es keine „neutralen“ oder „wertfreien“ Zeugen gegeben habe, stehe Aussage gegen Aussage. Und wenn Frau G.s Aussagen auch „wahrscheinlich“ stimmten, habe doch dabei „ein gewisser Haß eine Rolle gespielt“. „Mit Haßgefühlen aber die Wahrheit zu finden“, sei „kaum möglich.“ Im Prozeß hat Frau G. erklärt, daß sie sich nur noch „Ruhe“ wünsche. Es liegt auf der Hand, daß sie die mit einem solchen Urteil nur schwer findet. Sie hat sofort danach angekündigt, in Revision zu gehen. Doch ob sie durch so ein weiteres Verfahren eher Ruhe finden kann?

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