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Richter lehnt Mutlangen–Strafbefehle ab

■ Amtsrichter Krumhard aus Schwäbisch–Gmünd: Gewaltfreie Blockade verstößt nicht gegen „gute Sitten“ / Vier der 20 in Mutlangen blockierenden Richter bekamen keinen Strafbefehl / Erneut Hinweis auf Bundesverfassungsgericht

Von Klaus Wolschner

Bremen (taz) - „Ihr habt gebrochen mit diesem Brauch und habt gezeigt: so gehts auch“, singt Franz Degenhard für die 20 Richter, die am 12. Januar dieses Jahres vor dem Raketen–Depot in Mutlangen mit einer Sitzblockade demonstriert haben. Einer derer, die nicht mitblockiert haben, hat sich inzwischen auch zu Wort gemeldet: Richter Krumhard vom Amtsgericht Schwäbisch– Gmünd. Auf einer Beratung der Blockade–Richter am vergangenen Wochenende in Hamburg wurde berichtet, daß fünf Amtsrichter ihre Strafbefehle gegen die Blockade– Richter form– und fristgemäß unterschrieben haben, die ihnen die baden–württembergische Staatsanwaltschaft recht eilig schon im März, zwei Monate nach der „Tat“, vorlegte. Einer allerdings weigerte sich, abzuzeichnen: Amtsrichter Krumhard. Die vier Beschuldigten, für die er den Strafbefehl ausstellen sollte, hätten „zwar Gewalt im Sinne des § 240 StGB angewendet“, rechtswidrig sei diese jedoch nur, wenn die Gewaltanwendung „als verwerflich anzusehen ist“. Dies sei nur dann der Fall, wenn die Handlung „nach allgemeinem Urteil sittlich zu mißbilligen ist“ bzw. wenn „wegen der beachtlichen Intensität, mit welcher der Täter in rechtlich garantierte Freiheiten eines anderen eingreift, eine sozial unerträgliche Situation entsteht“. Verstoß ge gen die „guten Sitten“ im strafrechtlichen Sinne könne dabei nur sein, „was nach dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zweifellos kriminell strafwürdiges Unrecht“ sei. Das Anstandsgefühl aller, so argumentiert Amtsrichter Krumhard weiter, sei etwas anderes als die eigene rechtsethische Wertung des Richters. Relevant seien gesellschaftliche Wertungen. „Die tatsächliche Entwicklung vor dem Raketendepot in Mutlangen, wie anderswo, ging ... zwischenzeitlich dahin, daß nicht nur einige hundert (für die Rechtsentwicklung möglicherweise vernachlässigbare), sondern Tausende - in aller Regel unbescholtene - Bürger mit weit überwiegend gewichtigen und ernsthaften Argumenten an derartigen Blockaden teilnehmen und wegen ihrer Tat vor Gericht gestellt werden wollen; ein - soweit ersichtlich - einmaliger Vorgang in der Rechtsgeschichte.“ Der Amtsrichter aus Schwäbisch Gmünd (Az 5 Cs 232/87–16) geht ausführlich auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ein und kommt zu dem Schluß, „heute“ sei eine kurze, gewaltfreie Blockade nach obergerichtlicher Rechtsprechung wie der „tatsächlichen Entwicklung“ nicht mehr als verwerflich anzusehen. Die anderen mit der Aktion befaßten Amtsrichter hatten ihre Strafbefehle alle zwischen dem 17. und 23. März unterschrieben. Der vorgeworfene Tatbestand, „Eingriff in die Grundrechte fahrbereiter und fahrwilliger Kraftfahrzeuglenker“, sei „über nahezu zwei Stunden“ erfolgt und „als Teilakt einer mehrjährigen Dauerblockade des Militärlagers mit empfindlicher Störung des Militärbetriebes“ zu verstehen, argumentiert die Staatsanwaltschaft. Tatsächlich sind nach der dritten polizeilichen Aufforderung und der Räumung nur 20 Minuten vergangen. Schließlich argumentiert die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerde gegen die Weigerung des Amtsrichters Krumhard auch, der „Zweck“ der Aktion, „mehr Aufmerksamkeit für die Warnung vor den Gefahren der atomaren Rüstung zu erzielen“, sei „als verwerflich anzusehen“.

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