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Bremer Stadtmusikanten gucken in die Röhre

■ Der Pariser Elektronik–Multi Thomson überläßt das ehemalige Nordmende–Werk in Bremen seinen deutschen Managern / Bremer Senat beteiligt sich an der Thomson–Nachfolgegesellschaft / Thomson zieht sich schrittweise aus der Bundesrepublik zurück / Lukrativere Produktionsstätte: Singapur

Aus Bremen Michael Weisfeld

Thomson–Grand–Public, staatlicher französischer Elektronik– Konzern, gibt sein Fernseh–Werk in Bremen (ehemals Nordmende) zum Oktober dieses Jahres auf. Der Betrieb wird aber nicht geschlossen, sondern von einer GmbH übernommen, deren genauere Konstruktion gerade in Bremen ausgetüftelt wird. Sicher ist bisher, daß Thomson knapp 25 Prozent an der neuen Gesellschaft halten wird und der Bremer Senat über seine „Hanseatische Industrie–Beteiligungsgesellschaft“ (HIBEG) ebensoviel. 51 Prozent der Anteile werden bei sechs jetzigen Thomson–Managern liegen, die als geschäftsführende Gesellschafter der neuen Firma Herren im eigenen Hause sein werden. Die Produktpalette der neuen Gesellschaft (elektronische Baugruppen, Kunststoffteile und Werkzeuge zur Kunststoffbearbeitung) wird in den ersten Jahren weitgehend von Thomson abgenommen. Nach Ablauf der Abnahme–Garantie muß die Firma sich neue Märkte erschlossen haben. Zum Gründungstag der neuen Gesellschaft verlieren 280 der jetzt knapp 800 Beschäftigten ihre Jobs. Die einzige Alternative zu diesem Modell - so versichern alle Beteiligten - wäre gewesen, daß Thomson das Werk völlig stillgelegt hätte. Die Bremer Nordmende– Werke waren die ersten von einer Reihe von deutschen Unternehmen, die Thomson seit Ende der siebziger Jahre kaufte. Saba, Dual und schließlich Telefunken folgten. Thomsons Konkurrent Phillips verleibte sich die deutsche Traditionsfirma Grundig ein. Doch der raschen Expansion folgte das Roll–back. Zug um Zug wurde das Fertigungsprogramm in den ehemaligen Nordmende– Werken eingeschränkt. Aus dem kompletten Radio–und Fernsehwerk wurde ein Montage–Betrieb für TV–Geräte. Die Produktion von tragbaren Fernsehgeräten wurde im vergangenen Jahr von Bremen abgezogen. Zur gleichen Zeit ging auch die Portable–Produktion aus dem Telefunken– Werk von Celle und dem Thomson–Stammwerk Angers in die „Free Enterprise Zone“ von Singapur, wo Thomson ein Werk für Unterhaltungselektronik besitzt. Der Konzern schloß das Video– Color–Werk für Fernsehröhren in Ulm, obwohl die Belegschaft sich heftig gewehrt und sogar den Betrieb besetzt hatte. Der völlige Rückzug aus Bremen liegt auf der gleichen Linie. Thomson hat die deutschen Werke aufgekauft, um seine Stellung gegenüber der japanischen Konkurrenz zu festigen. Besonders wichtig war dabei das Know– how der aufgekauften Firmen. Bei stagnierendem Absatz mußten dann die nächsten Schritte sein: das Aufgekaufte ordnen, die Fronten begradigen, die Herstellung der einzelnen Produkte an den geeigneten Standorten konzentrie ren. Diese Konzernstrategie kostete drei Viertel der ehemaligen Nordmende–Belegschaft in den letzten neun Jahren die Arbeitsplätze. An weitere Verlagerungen nach Singapur sei zur Zeit nicht gedacht, sagte ein Firmensprecher. Für die Zukunft mochte er das aber nicht ausschließen. Der Thomson–Konzern ist selbst das Ergebnis eines Zusammenschlusses von einer ganzen Reihe französischer Firmen aus den Bereichen Hausgeräte, Telekommunikation, Unterhaltungs– und Rüstungselektronik. Unter der sozialistischen Regierung wurde er nationalisiert, doch nach ihrem Wahlsieg setzten die Konservativen den Multi sofort auf die Reprivatisierungsliste. Allerdings sollen die Thomson–Aktien erst dann an die Börse gehen, wenn alle Geschäftsbereiche gesund wären. Sorgenkind ist bisher die Unterhaltungselektronik. Ein Schritt zur Sanierung dieses Produktionszweiges soll der Rückzug aus Bremen sein. Die Hallen und Maschinen in Bremen waren für Thomson also ziemlich wertlos geworden, und wenn der Konzern sie jetzt seinen deutschen Managern überläßt, erhält er im Gegenzug die Gewißheit, daß er bei einer eventuellen Pleite nicht mehr für Abfindungssummen der Beschäftigten aufkommen muß. Die Thomson–Manager, die in Zukunft geschäftsführende Gesellschafter in Bremen sein werden, bringen eine eigene Kapitaleinlage mit, die nach ihrem Bekunden „mehr als nur symbolisch“ sein soll. Dritter Partner ist die senatseigene HIBEG, die ihren Gesellschafter–Anteil wohl hauptsächlich in Form von Grundstücken einbringt, auf denen die Werkhallen stehen, und die sie bisher an Thomson verpachtet hatte. Für sie ist der Einstieg in die neue Gesellschaft nach eigenem Bekunden eine Maßnahme der Wirtschaftsförderung. Sie wolle beratend in finanziellen Fragen tätig sein und dafür sorgen, daß eine seriöse Geschäftspolitik gemacht wird, die die öffentlichen Interessen nicht schädigt, besonders was die Arbeitsplätze angeht, erklärte HIBEG–Geschäftsführer Dr. Steinmetz. Ein solches Eingreifen des Senats über seine Beteiligungsgesellschaft ist in Bremen nicht neu. Erklärtes Ziel dabei ist es, mit solchen Beteiligungen dafür zu sorgen, daß Produktionsstätten in Bremen auch dann bestehen bleiben, wenn auswärtige Eigentümer sie schließen oder verlagern wollen. So geschehen bei den Unterweser–Werften, wo der Senat über die HIBEG mittlerweile der einzige Großaktionär ist. Mit Belegschaftsinitiative hat das neue Modell im alten Nordmende–Werk nichts zu tun. Die Pläne wurden ganz im Geheimen von Management, Senatsstellen und IG Metall ausgetüftelt. Die in den vergangenen Jahren arg gebeutelte und geschrumpfte Belegschaft nahm die Pläne mit einer Mischung von Hoffnung und Skepsis auf.

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