Diepgen blamiert

■ Zum Ein– und Ausladungschaos zur 750–Jahr–Feier

Daß es Moskauer Druck gegeben hat bei der Absage an Diepgen, ist wahrscheinlich. Aber das Bild, wonach Honecker wieder an die Leine gelegt wurde, ist genau so richtig und falsch, wie die Vorstellung, derzufolge Diepgen nur soweit Auslauf hätte, bis die Schutzmächte pfeifen. Ist jetzt Honecker der Blamierte, wie es Presse, Fernsehen und Parteien unisono beschwören? Nichts da! Der Blamierte ist Diepgen. Diepgen wollte Entspannung zum Nulltarif, erwartete die Sänfte hinter dem Grenzübergang, um einmal in ostpolitischer Reizwäsche über die Szene zu blitzen. Schon das Zögern, die Einladung anzunehmen, konnte von der DDR nur als Signal interpretiert werden, daß er nicht um seinen Spielraum „gutnachbarlicher“ Politik kämpft, sondern nur ums Renommee pokert. Wer sagt, die Schutzmächte, die Sowjetunion eingeschlossen, wollten diesen Spielraum nicht, benennt allenfalls nur die Enge des Spielraums. Hätte Diepgen die Einladung angenommen, dann hätte er zwar sein politisches Schicksal damit verbunden, es aber den Alliierten schwerer gemacht, restriktiv zu reagieren. Diepgen hat sich als ostpolitisches Würstchen entpuppt, als Currywurst, außen würzig, innen pappig. Und Mompers SPD–Opposition ist ein Wackelpudding, der eben in Windrichtung zittert: Soll jetzt etwa die Weltgeschichte den Atem anhalten, weil auch Momper empört absagt? Diepgen hat eine Politik gemacht, als ob Ost–Berlin gerade an ihm, dem moralisch–anrüchigen CDU–Politiker aus dem Berliner Sumpf, interessiert sei. Ost–Berlin war aber an einer neuen Politik interessiert. Was zwang Diepgen denn, zur Eröffnung der 750–Jahrfeier vom „Schießbefehl“ zu reden, was Kohl, die „offene deutsche Frage“ zu beschwören? Wie groß der Spielraum immerhin sein kann, bewies das „Neue Deutschland“ gestern: Stephan Hermlin konnte da über den Wegfall des „Bauwerks“ räsonnieren und sich auf Honecker berufen. Die Musik ist da, nur der Mut zum Tanz fehlt. Klaus Hartung