: Sägen am post–nuklearen Survival–Projekt
■ Die „Schneeball–Kampagne“ der britischen Friedensbewegung versucht beharrlich, an Maggie Thatchers Atombunker herumzusägen / Eine Demonstration vor dem geheimen Kriegs–Hauptquartier der britischen Regierung
Aus London Rolf Paasch
Langsam bewegt sich die Prozession die Landstraße hinunter. Einige tragen ein Kreuz mit dem Peace–Symbol der Friedensbewegung vor sich her. Andere haben ihren Kindern bunte, dreizackige Wimpel in die Hand gedrückt. Jeremy Napier, ein Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg, hat sein Akkordeon mitgebracht. Und Jeff, ein junger Arbeitsloser aus dem benachbarten Bath, ist sogar auf seinem Hochrad gekommen. Kurzum, ein Routine–“Manöver“ der britischen Friedensbewegung nimmt seinen Lauf. Die rund 100 Müslis im Anorak haben es an diesem unfreundlichen Samstagmorgen auf das „Central War Headquarter“ der britischen Regierung in der westenglischen Grafschaft von Wiltshire abgesehen. Seitdem der New Statesman– Journalist Duncan Campbell vor vier Jahren seine Recherchen über den „Kriegsplan für das Vereinigte Königreich“ veröffentlicht hat, ist Maggies nukleare Fluchtburg in den stillgelegten Steinbrüchen von Corsham eines der in Großbritannien so populären Staatsgeheimnisse. Um auf die Absurdidät dieses post–nuklearen Survival–Projektes hinzuweisen, sind sie an diesem Tag hier in die sanften Hügel der Grafschaft Wiltshire herausgekommen, mit ihrem riesigen Schneeball, dem Symbol für den stetig wachsenden Widerstand. Die Mitglieder der „Snowball– Gruppe“, meist gleichzeitig Mitglieder der „Kampagne für nukleare Abrüstung“ (CND), setzen sich in erster Linie für die Minimalziele bei den internationalen Abrüstungsverhandlungen ein: einen sofortigen Rüstungsstopp sowie die Einstellung aller Atomwaffenversuche. „Wir fordern zwar weniger als der CND, aber unsere Aktionen beinhalten häufiger den zivilen Ungehorsam“, erklärt Bernie Honeyford, ein wohlsituierter Möbelunternehmer, der mit seiner Gattin aus Bristol angereist ist. Dabei läßt er mich einen vorsichtigen Blick in seine Plastiktüte werfen, in der eine kleine Laubsäge ruht. Mittlerweile ist der Zug vor einem der 42 Eingänge des Corsham–Komplexes angekommen, der sich bis zu einer Tiefe von 40 Metern unter die Erde erstreckt. Da unten müsse die Szene eine bizarre Ähnlichkeit mit den Gängen und Schächten der Londoner Untergrund–Bahn aufweisen, so vermutet der Journalist Campbell in seinem Buch. Sogar ein Elektrozug fährt hier durch den Berg, wie die Einstellung von Eisenbahningenieuren für Corsham in einer irrtümlich veröffentlichten Arbeitnehmerliste des Verteidigungsministeriums offenbart. Gut 400 Menschen sind hier mit der Aufrechterhaltung und Wartung der unterirdischen Kommandozentrale beschäftigt, von der aus im Ernstfall Britanniens Kriegsschicksal gesteuert werden soll. Anschließend soll von diesem Bunker die „recovery“ ausgehen, wie britische Militärplaner die Erholungsphase der Insel vom atomaren Schlag nennen. Nimmt man die offiziellen Richtlinien für die Bunkerbelegung zum Maßstab, könnten hier bis zu 45.000 Menschen ihren Atomtod hinauszögern. Vorausgesetzt, der Cors ham–Complex wird nicht direkt von einer Atombombe getroffen. Schon allein deshalb irritieren die Friedensbewegten, die mir ihrem Marsch den Standort von Maggies atomarer Fluchtburg bekanntmachen. Von dem an diesem Tag sauber in Reihe und Glied aufgestellten Polizisten und Polizistinnen werden sie dennoch freundlich begrüßt. „Good Morning.“ „Fine soft morning, isnt it“, antwortet mein Nebenmann mit englischem Humor auf die feuchtigkeitshaltige Luft dieses Demonstrationstages anspielend. Man/frau kennt sich, das Ritual läuft wie geschmiert. Die Schneeball–Leute haben sich in einer langen Reihe auf der anderen Straßenseite aufgestellt. Die mitgeführte Blaskapelle verstummt zur Schweigeminute. Und dann die „action“. 35 Aktivisten schreiten über die Straße auf den Zaun zu, zücken ihre winzigen Laubsägeblättchen und ritze–ratze–voller–Tücke eine Lück... Doch dann sind schon Ordnungshüter da und führen sie mit sanfter Gewalt ab. „Wieweit sind Sie denn heute angereist“, fragt ein Sergeant freundlich mitleidig die 74jährige Martha Butterworth, die es nach zwei vergeblichen Anläufen heute nun endlich geschafft hat, festgenommen zu werden. Superintendant Hogarth von der Grafschaftspolizei von Wiltshire überwacht den Abtransport der Snowball– Aktivisten. „Ob die eine Anzeige kriegen?“ „Nein, mein Job ist es, Kriminelle zu fangen. Solange dies eine symbolische Aktion bleibt, wäre das den Aufwand nicht wert“, erklärt der Chef der Polizeieinheit, die sich vor zwei Jahren weitaus weniger gutmütig zeigte. Damals kesselten seine Wiltshire–Boys einen Hippie– Konvoy zum Sonnenwendfest im nahegelegenen Stonehenge auf freiem Feld ein und metztelten die Nachfahren der Blumenkinder nieder, als gelte es einen Angriff der Roten Armee auf Corsham zurückzuschlagen. Heute aber bleibt alles friedlich. Die unauffälligen Herren von der „Special Branch“, die das Geschehen für ihre Arbeitgeber auf Video gebannt haben, ziehen sich ins Innere der Anlage zurück und die Demonstranten machen sich auf den Nachhauseweg. Später werden die Abgeführten - wie üblich - wieder zu ihnen stoßen. Langsam verschwindet schließlich auch der auf einem kleinen Kofferträger mitgerollte Papp– Schneeball aus dem Blickfeld der immer noch im Regen stehenden Bobbies. Nicht nur sie zweifeln daran, daß sich der Schneeball bis zur nächsten Demonstration in die erhoffte Lawine von Friedensbewegten verwandeln wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen