: I N T E R V I E W Die Krankheit entstand in den achtziger Jahren
■ Interview mit Dr. med. Hennig Grossmann, der acht Jahre als Tropenmediziner in Moshi am Fuß des Kilimandscharo lebte
taz: Herr Dr. Grossmann, Sie haben von 1977 bis 1985 in Tansania gearbeitet und gelten als Experte für das Kaposi–Sarkom, das heute häufig als AIDS–Sekundärerkrankung diagnostiziert wird. Dr. Grossmann: Als noch niemand von AIDS sprach, habe ich mich neben anderen Hauterkrankungen auch mit der Ausbreitung des Kaposi–Sarkoms (ein seltener Hautkrebs, den der Wiener Arzt Kaposi Ende des letzten Jahrhunderts diagnostizierte) befaßt. Es gibt das sporadische Kaposi–Sarkom, das überall in geringer Anzahl vorkommt, von Grönland bis zum Kap der Guten Hoffnung. Zusätzlich gibt es aber schon immer eine Häufung des Kaposi–Sarkoms in Zentral– und Ostafrika. Das entspricht der jetzigen Ausbreitung des AIDS–Virus Ja, das hat auch dazu geführt, daß viele Wissenschaftlr AIDS sofort voreingenommen für afrikanischen Usprungs hielten. Aber es waren dann doch klinisch deutlich unterschiedliche Formen des Tumors. Als 1983 die ersten Fälle auftraten, fielen sie uns gleich durch einen dissimilierten aggressiven Verlaufstyp mit hochgradiger Gewichtsabnahme und intensiver Beteiligung innerer Organe auf. Deshalb wurde sie von uns auch gleich als atypisch klassifiziert. Das heißt, das AIDS–Kaposi war tödlich, das afrikanische blieb ein lokalisierter Krebs. Ja. Obwohl es viele Übergangsformen gibt, hat man nie von Anfang an diesen explosiven Charakter beobachtet. Es war eine neue auffällige Form, die vorher nicht in Tansania existierte. Jeder Arzt hätte sie bemerkt, eine Biopsie gemacht und zu uns geschickt. Und das ist nie geschehen? Rückblickend habe ich 1981 einen einzigen Fall beobachtet, der eventuell ein AIDS–assoziierter Fall gewesen sein könnte. Da aber keine immunologischen Untersuchungen durchgeführt wurden, bleibt es spekulativ. Erinnern Sie sich, woher der Patient kam? Es handelte sich um einen Mann der mobilen Mittelschicht aus dem Dreieck Uganda, Ruanda, Tansania. Hätte durch die schlechte medizinische Versorgung AIDS nicht lange verborgen bleiben können? Obwohl ich einräumen muß, daß die Symptome, die das afrikanische AIDS–Bild auszeichnen, oft mit lang anhaltenden Diarrhöen und Gewichtsabnahme einhergehen, die sowieso in Afrika häufig sind, konnten Todesfälle aber in der Regel immer zugeordnet werden, ob Typhus, Paratyphus, Cholera oder andere infektiöse Epidemien. Aber heute ist AIDS in Afrika sehr verbreitet. Decken sich die Berichte über ein stark promiskes Gesellschaftsleben mit Ihren persönlichen Beobachtungen? Es ist wie bei uns. Aber Prostitution und Promiskuität wurden sicher durch Akkulturation, Landflucht, die Annahme westlicher Zivilisation und die Zerstörung traditioneller Familienbande gestärkt. Mit der Einführung der westlichen Medizin ist aber zusätzlich eine psychologische Spritzenabhängigkeit erzeugt worden, die sich jetzt durch mangelnde Hygiene als kontraproduktiv erweist. Aber auch bei traditionellen Heilern geht es nicht immer unblutig zu. Ja, man arbeitet mit Instrumenten für Beschneidungen und Tätowierungen, und auch bei der Blutsbrüderschaft werden Hautschnitte durchgeführt. Das heißt, die Multiplikation ist wegen der vielfältigen Übertragungsweisen eindeutig größer als bei uns. Hinzu kommen die Bluttransfusionen. Wegen mangelnder finanzieller Mittel kann das Blut nicht in allen Regionen untersucht werden. Und nicht nur in Notsituationen, sondern auch bei dort häufig auftretender Sichel– oder Schwangerschaftsanämie wird Blut übertragen. Kommt AIDS dort auch ähnlich schnell zum Ausbruch? Viele Afrikaner sind auf Grund von konsumierenden und immunsuppremierenden Infektionserkrankungen verschiedener Art, wie Chronische Malaria oder Darmparasiten, in ihrer Immunreaktion ohnehin beeinträchtigt. Außerdem überlegt man ja bereits, ob man die gesamten Impfprogramme überprüfen muß. Eine Impfung, zum Beispiel gegen Kinderlähmung, schafft ja eine zusätzliche Belastung, die zu einer Manifestierung der latenten Infektion führen kann. Wenn es irgendwann einmal möglich sein sollte, einen AIDS–Impfstoff zu entwickeln, könnten die afrikanischen Länder ihn dann bezahlen? Nein, das Problem ist nur durch sofortige internationale Kooperation und großzügige Hilfe in den Griff zu bekommen.
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