: Ortsbesichtigung am Celler Loch
■ Parlamentarischer Untersuchungsausschuß vor Ort im Celler Gefängnis / JVA–Leiter: Die Wachbeamten hätten auf die Verfassungsschützer schießen dürfen / Gefangene hörten über Polizeifunk mit
Aus Celle Jürgen Voges
Durch den Anschlag des Verfassungsschutzes auf das Celler Gefängnis im Juli 1978 sind die Wachbeamten der JVA gefährdet worden. Dies hat ein Ortstermin des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Celler Loch und die anschließende Vernehmung des Anstaltsleiter Paul Kühling und eines Gefangegen ergeben. Von dem einstigen Loch in der Gefängnismauer, das der Auschuß zuerst inspizierte, ist heute nur noch eine etwa 70 cm große mit Beton zugeschmierte Fläche zu sehen. Links und rechts dieser Gefängnisecke liegen allerdings in etwa 30 Meter Entfernung zwei Wachtürme, von denen der Tatort einsehbar war und die in der Nacht des Anschlags auch besetzt waren. Diese Turmbeamten, so sagte der Anstaltsleiter Paul Kühling vor dem Ausschuß aus, seien damals in unregelmäßigen Abständen abgelöst worden und hätten von dem bevorstehenden Anschlag nichts gewußt. Der Verfassungsschutz habe aber von der anderen Seite die Türme mit Ferngläsern observiert und so den Ablösungsmodus erkennen können. Auch wenn einer der Beamten aus irgendeinem Bedürfnis plötzlich Ablösung verlangt hätte, hätte nach Kühlings Meinung keine Gefährdung bestanden. Der Anstaltsleiter bestätigte jedoch, daß er später ein Schreiben des Personalrats erhalten habe, wonach „sich ein bestimmter Bediensteter konkret in Gefahr befunden hat“. Kühling ist fünf Tage vor der Aktion vom damaligen Justizminister Schwindt in dessen Privatwohnung über den bevorstehenden Anschlag vertraulich informiert worden. Nach dem Anschlag, so sagte der 57jährige JVA–Leiter, habe er dann entsetzt getan und seine Rolle für alle Beteiligten gut gespielt. Er habe auch an der Pressekonferenz nach dem Anschlag teilgenommen, auf der der damalige Justizminister sofort den in Celle einsitzenden Sigurd Debus mit dem Anschlag in Verbindung brachte. Unter den Gefangenen der JVA Celle tauchte bereits am Tag nach der Explosion der Verdacht auf, daß der Anschlag nur eine „inszenierte Angelegenheit“ sei. Der Gefangene Hans Detlef Ormann, der seit 1973 in Celle einsitzt, sagte gestern vor dem Auschuß, er habe in der Nacht des Anschlages mit seinem speziellen Radio die Frequenzen des Polizeifunks und auch das 2–Meter–Band abgehört. Dabei habe er den Satz aufgeschnappt: „Das Boot lassen wir liegen, dann sieht es aus, als wenn es Terroristen waren.“ Bereits sechs Minuten nach der Explosion hätten Zivilbeamte, die sich später als Kripo Hannover vorstellten, die von innen verkeilte Zellentür von Debus aufgebrochen und die Zelle durchsucht. Ormann, der von seinem Verdacht im Jahre 1980 auch mehreren Landtagsabgeordneten geschrieben hatte, bestätigte auch die Gefährdung des Wachpersonals.
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