: Diffuses Grübeln über die Mechanismen der Verschuldung
■ Die Aufsatz–Sammlung „Geld regiert die Welt“ bringt eine Fülle von interessanten Einzelinformationen, die aber keiner klaren Fragestellung folgen
Von Imma Harms
An besorgten Veröffentlichungen über die „Schuldenkrise“ der Dritten Welt gibt es zur Zeit keinen Mangel. Allerdings ist bei all den Analysen und Beschwörungen - vom Handesblatt bis zu den linken Theoretikern, von den kritischen Aktionären bis zu den kirchlichen Arbeitskreisen - häufig schwer zu unterscheiden, wer sich da eigentlich Sorgen um was macht. Eine ähnliche Unklarheit hinterläßt die Lektüre des von Siegfried Pater in der Reihe von medico–international herausgegebenen Buches „Geld für die Welt“. Um wessen Problem geht es? Das der Banken, ihr verliehenes Geld zurückzubekommen, um das der verschuldeten Regierungen, es aufbringen zu können, um das Problem der multinationalen Konzerne, ihre Produkte noch absetzen zu können? Geht es um die Situation der über den Hebel der Verschuldung in Hunger und Elend gestürzten Bevölkerungen oder etwa um die unkalkulierbaren Folgen von deren Abwehrkämpfen gegen die existenzielle Bedrohung? Das letztere scheint das verneinende Motiv zu sein, wenn man den einleitenden und abschließenden Sätzen des Herausgebers folgt. Zu Beginn des Buches weist Pater darauf hin, daß „die Schuldenbombe unüberhörbar tickt“, ohne näher darauf einzugehen, welche Art von „Explosion“ er denn fürchtet. Zum Abschluß des Buches gibt er zu verstehen, daß es auf jeden Fall darum geht, diese „Explosion“ zu verhindern: „Die Solidaritätsbewegung erkennt die Brisanz von Verschuldung und Verelendung. Sie sieht die Notwendigkeit einer umfassenden Analyse und der Entwicklung einer Gegenstrategie“. Die Frage nach dem Anliegen der Beiträge mag polemisch erscheinen, angesichts der in dem Buch versammelten, durchweg engagierten Autoren, denen man die Ernsthaftigkeit ihrer Solidaritätsbekundungen mit den Opfern der Hungerpolitik durchaus abnehmen darf. Aber gerade in dem Solidaritätsansatz liegt das Problem. Es ist sicher kein Zufall, daß nicht einer der 14 Beiträge auf die Tatsache eingeht, daß die Opfer sich überall auf der Welt immer wieder selbst zu handelnden Subjekten machen. Von Hungerrevolten und spontanen Aufständen gegen die Aushungerungspolitik des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist in diesem Buch nicht die Rede. Bezeichnender weise befaßt sich Gert Eisenberg in dem Kapitel „Antworten der Dritten Welt auf die Verschuldung“ auch ausschließlich mit den administrativen Reaktionen auf Elend und Widerstand in den Bevölkerungen. Untersucht werden die Positionen der nationalen Regierungen, der Kirchen, der Gewerkschaften, nicht aber die elementarsten Ausdrucksformen z. B. Hunderter von Hungerrevolten und deren Rolle in den strategischen Maßnahmen von IWF und internationalen Banken. Solange die Solidaritätsarbeiter hierzulande die Menschen in der „Dritten“ Welt nur als Opfer des international organisierten Kapitals und nicht auch als dessen Gegner wahrnehmen, wird sich ihr Kritikansatz, so gut er auch immer gemeint sein mag, notwendi gerweise auf der Ebene von Verhandlungen mit den Mächtigen wiederfinden. Das wird beispielhaft deutlich an dem Tauziehen der entwicklungspolitischen Gruppen in der evangelischen Kirche mit dem Präsidium um die Kontenkündigung des Deutschen Evangelischen Kirchentages (DEKT) bei der Deutschen Bank, das einer der Buchbeiträge zu dokumentieren versucht. Das DEKT–Präsidium federt den Druck von unten ab: „Das Präsidium wird gegenüber den Banken darauf drängen, daß sie ihrer grundsätzlich erklärten Bereitschaft, zur Überwindung des Apartheidsystems beizutragen, Taten folgen lassen“. Die deutsche Bank reagiert höflich, aber bestimmt: „Die Vertreter der Deutschen Bank stellen klar, daß diese Position zur Apartheid (die abgelehnt werde, d.Red.) in die Gespräche mit südafrikanischen Regierungsvertretern eingebracht wird“. Aber: es bleibe mit der Einstellung der Deutschen Bank unvereinbar, „ihre Aktivitäten im positiven oder im negativen Sinn für politische Zwecke einzusetzen“. Das Präsidium hat nach dieser Abfuhr mit Beschluß vom 14. 3. 87 (offensichtlich nach Redaktionsschluß des Buches) tatsächlich die Konten bei der Deutschen Bank gekündigt und überlegt zur Zeit noch, welcher „sauberen“ Bank es seine Gelder nun anvertrauen soll. An der Politik der Deutschen Bank hat sich nichts geändert, am Rassismus in Südafrika schon gar nichts. Dennoch feiern die entwicklungspolitischen Gruppen die Kündigung als Erfolg und wollen entsprechende Initiativen bei den Landeskirchen durchführen. Ähnliche Sackgassen im politischen Verständnis der „Schuldenkrise“ zeichnen sich in dem Beitrag von Rainer Tetzlaff über die Verantwortung der BRD für die Verschuldung ab, wenn er etwa behauptet, belastend für die Zukunft sei vor allem „das Problem der falschen entwicklungspolitischen Weichenstellung als Folge der Verschuldung“. Ist die Anbindung und Nutzbarmachung der Dritten Welt durch die systematische Verschuldung nicht jahrzehntelang ein Teil der „Entwicklungspolitik gewesen? Die Rolle der staatlichen Entwicklungspolitik als Flankenschutz für die Machtausdehnung der multinationalen Konzerne und Banken bleibt, jedenfalls auf der analytischen Ebene, unhinterfragt und unbegriffen. Auch Thomas Fues Artikel zur staatlichen Entwicklungshilfe leistet keinen Beitrag dazu. Er macht eine Bilanz der Zahlungsflüsse auf, ohne die Wirkungsmechanismen zu untersuchen. Wenn ich das Buch trotz dieser grundsätzlichen Einwände zur Lektüre empfehle, dann liegt das daran, daß es eine Fülle von Material bietet, mit dem sich in der Analyse der gegenwärtigen Umstrukturierung in der Weltwirtschaft weiterarbeiten läßt. Besonders brauchbar finde ich in dieser Hinsicht die Beiträge von Angelina Sörgel zum Machtkartell zwischen bundesdeutschen Industrie– und Bankkonzernen und von Herbert Schui zu den internationalen Anstrengungen, die „Zahlungsfähigkeit“ der Dritten Welt zu erhalten. Beide Artikel unterwerfen sich nicht dem Diktat, moralische Empörung oder globalstrategische Lösungsvorschläge vorweisen zu müssen, sondern gehen mit analytischer Beharrlichkeit und guten Detailinformationen den Wirkungszusammenhängen nach. Auch die Fallbeispiele Brasilien, Bolivien, Philippinen und Südafrika mögen für die nützliche Informationen enthalten, die ihre Fragestellungen zur „Schuldenkrise“ bereits formuliert haben. Gemessen an seinem selbst gesetzten Anspruch, über die Rolle (bundesdeutscher) Banken in der Verschuldung der Dritten Welt Informationen zu geben, leistet das Buch sicher wichtige Beiträge. Für diejenigen allerdings, die sich mit lauterer Absicht und mitfühlendem Herzen den Problemen der ausgeplünderten Völker zuwenden wollen, stellt das Buch, so fürchte ich, die Weichen falsch. „Geld regiert die Welt“ von Siegfried Pater (Hg.), Lamuv– Verlag, April 87, 175 Seiten, 16,80 DM
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