piwik no script img

Banalität und Attraktivität des Bösen

■ Der Prozeß gegen Klaus Barbie in Lyon findet ohne den Angeklagten statt / Für eine sensationslüsterne Öffentlichkeit scheint die Hauptattraktivität damit verschwunden zu sein / Barbies Verteidiger Verges demonstriert Siegesgewißheit

Aus Lyon Georg Blume

Kaum hat Klaus Barbie seinen vorzeitigen Abgang von der Anklagebox angekündigt, als sich auch schon Wut und Entsetzen auf den Bänken der Nebenkläger zeigen. Die Wende im Prozeß ist spürbar, und sogar der bisher souveräne Staatsanwalt vergreift sich im Ton: „Barbie akzeptiert es nicht, seinen Taten ins Gesicht zu sehen. Im Namen Barbie klingt die Barbarei mit an.“ Im entscheidenden Augenblick fördert eine solche Assoziation nicht das Ansehen einer Anklage, die es allzu offensichtlich nicht ertragen kann, im Abseits des bisherigen Prozeßverlaufes zu stehen. Mit Beschuldigen und moralischen Vorhaltungen versuchen die Anwälte der Nebenklage, die letzten Minuten der Anwesenheit Barbies im Saal zu nutzen. Niemand im Schwurgerichtssaal von Lyon hat Barbies Auftritt vereiteln können. Auch nicht der Gerichtsvorsitzende Cerdini, dem im Gegensatz zu Barbie die Beherrschung beider Sprachen, Deutsch und Französisch, fehlt. So demonstrierte der Angeklagte im Verhör Überlegenheit: Seine Antworten erfolgen direkt, ohne Übersetzung. Das Gericht konnte ihn nicht unterbrechen - es verstand erst bei der Übersetzung. Nun überläßt Barbie die Starrolle seinem Verteidiger, Jacques Verges. Während die Nebenkläger unbeachtet den Gerichtssaal verlassen, wird Verges auf den Schwellen des Justizpalastes von einer Meute Journalisten nahezu erdrückt. Längst hat die vor Prozeßbeginn mit den Figuren Barbies und seines Verteidigers vielbeschriebene Banalität des Bösen in den Medien dem Interesse an seiner Person Platz machen müssen. Im Gerichtssaal füllten sich immer jene Plätze, von denen das Mienenspiel des Gespanns Barbie - Verges besonders gut zu beobachten war. So anziehend wirkte die Anklagebank, daß sich ein Dutzend von Barbies Zeichnern und Karikaturisten, entsprechend französischer Tradition, auf die Gerichtstribüne begaben, um damit auch optisch alle oft zitierten rechtsstaatlichen Theorien von der Trennung von Judikative und vierter Gewalt - den Medien - außer Kraft zu setzen. Vier Prozeßtage sind in einer Atmosphäre vergangen, die kaum spüren ließ, daß hier vielleicht einer der letzten großen Prozesse in diesem Jahrhundert wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ stattfindet. Und er droht mit dem Abtritt Barbies, insbesondere auf der Seite der Nebenkläger, in eine bloße Selbstdarstellung guter Absichten oder partikularer Interessen abzugleiten. Schon wollte ein Anwalt der Nebenklage in Barbie den Feind des Staates Israel ausgemacht haben, und zwar aufgrund der Aussage eines der Sachverständigen, wonach Willy Brandt für Barbie als unehelich geborener Sohn ein Negativsymbol sei. Ob Barbie in Brandt nicht eher den Freund Israels ablehne, fragte der Anwalt. Sein Adressat war weniger der Sachverständige als eine bestimmte Fraktion seiner Auftraggeber. Dagegen setzt die Verteidigung Barbies auf eine Anfechtung des ganzen Prozesses. In seiner ersten langen Rede verwies Jacques Verges auf das Urteil des französischen Militärgerichtshofes aus dem Jahr 1954, mit dem der Angeklagte nach Auffassung der Verteidigung bereits für die Gesamtheit seiner Taten von 1942 bis 1944 in Lyon zum Tode verurteilt wurde (das Urteil ist inzwischen verjährt), diese Taten folglich nach französischem Recht nicht ein zweites Mal in der Anklage aufgeführt werden dürften. Der Staatsanwalt wies die Argumentation mit der Begründung ab, daß Barbie zwar für Mord und Folter, nicht aber für die Deportation von Menschen verurteilt wurde. Doch scheint dieser Disput noch nicht ausgestanden: Er bietet Verges bereits die Möglichkeit aus formaljuristischen Gründen in die Revision zu gehen. Die Journalisten werden abziehen. Der Prozeß wird weitergehen. Doch sein Ausgang erscheint schon heute ungewisser als der Auftakt es vermuten ließ.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen