„Die schweinischen Wechselwähler“

■ Selbst hartgesottene GAL–Wähler laufen zur SPD über

Die Sozis, rechte wie linke, sind zufrieden: „Unsere Partei ist aktiv wie selten.“ Stimmt. Kaum ein Sonntagsspaziergang, bei dem einem nicht ein mit Flugblättern und nettem Lächeln bewaffneter Sozialdemokrat in den Weg tritt. Kaum eine Kneipe, in der nicht zu einem SPD–Frühschoppen geladen wird. Und nichtmal zu Hause, wenn das Telefon klingelt und man in freudiger Erwartung eines Liebesgrußes den Hörer abnimmt, ist man vor der ruhestörenden Ermahnung aus dem Munde eines roten Wahlhelfers sicher, doch bitte am Sonntag der bürgerlichen Wahlpflicht nachzukommen. Und dann noch die Wahlplakate: „Liebe 68er, wenn ihr wieder grün wählt, kriegt ihr schwarz.“ Aber die Parole scheint zu verfangen. Oder besser gesagt, das Denken dieses so subtil angesprochenen Kulturkreises scheint sich den plakatierten Plattheiten anzunähern. Ein Phänomen macht sich breit: Leute, die früher beim Namen SPD nur rot sahen, geht nun beim Namen GAL die Galle über. Die Zeitgeist–Ausgabe dieses Phänomens ist Mathias Horx, leitender Redakteur des Yuppie– Magazins Tempo. Der modern von allen linken Illusionen Befreite sagt zwar, er könne „die SPD nicht ausstehen“, bekennt aber mit gerade zu kindlicher Lust, „zu den schweinischen Wechselwählern“ zu gehören, um den von ihm gehaßten Fundis der GAL mal eins auszuwischen. Die Sozialausgabe des Phänomens sind Leute wie Inge Meysel und Mario Simmel, die in großen Annoncen ein „Kommt raus! Wählt wie wir!“ schmettern. Und die Traditionalausgabe sind Prominente vom Schlag eines Dieter Hildebrandt, Hark Bohm, Volker Schlöndorff, Jürgen Flimm, dies offenbar einfach nicht lassen können. Anders als bei den früheren Wahlen folgen ihnen aber diesmal die halben Ensembles der Staatstheater, die früher konsequent grün wählten. Und selbst Nina Hagen wirbt in Talkshows nun für die Sozialdemokratie. Die Wechselwähler von grün zu rot nennen vor allem zwei Gründe für ihren Verrat, wenn sie ihn überhaupt als solchen begreifen. Zum einen die Angst vor der Wende, die abzuwehren die mit der rechten FDP und zur Not auch mit der CDU kokettierenden Sozialdemokraten allerdings auch nicht gerade überzeugend garantieren. Und zum anderen den Entschluß der GAL, weder für eine Koalition noch für eine „weiche“ Tolerierung von der starr gezeichneten Linie abzuweichen. Meine - gewiß subjektive - Prognose für die Wahlnacht: ein Rechtsruck aus Angst vor der Wende. Also eine blutende GAL und eine yuppie– lierende SPD. Ute Scheub