: P O R T R A I T Walentin Rasputin - ein sowjetischer Grüner?
■ Mit seinem Engagement für den Baikalsee hat der sibirische Schriftsteller dazu beigetragen, den See zu retten
Es wird nicht oft vorkommen, daß ein Sowjetbürger auf der Straße, auf Walentin Rasputin angesprochen, nicht weiß, von wem die Rede ist: Rasputin - der zeitgenössische Schriftsteller, Rasputin - der engagierte Bürger, Rasputin - der Naturfreund und Umweltschützer. Der Schriftsteller tritt entschieden für den Gorbatschowschen Erneuerungskurs in Wirtschaft und Gesellschaft ein. In einem Interview in der Iswjestija betonte er, daß „noch nie während der lezten Jahrzehnte der Schriftsteller in seinen Auffassungen über die Bedürfnisse des Vaterlandes so nah dem offiziellen Standpunkt war, wie das jetzt der Fall ist.“ In seinem Roman „Abschied von Matjora“ wird ein sibirisches Dorf geräumt und die Menschen müssen weichen. Fruchtbarste Erde wird für einen Stausee überflutet. Ein Kraftwerk an der Angara wird gebaut. Der fortschrittsgläubige Enkel sagt zu seiner Großmutter Darja, die ihr Dorf nicht verlassen wird: „Der Mensch ist der Bezwinger der Natur.“ „Ja, freilich, der Bezwinger, erst zwingt er, dann hinkt er“, antwortet ihm Darja. Am 15. März 1937 wurde Walentin Rasputin in einem Dorf in Ostsibirien geboren. Heute lebt er in Irkutsk am Baikalsee. Das Dorf, die Menschen in seiner Heimat, die langsame Zerstörung der Natur Sibiriens sind der Rahmen für seine Erzählungen und Romane. Nicht nur in seinem literarischen Werk, sondern auch in Zeitungen und im Rundfunk wehrt sich Rasputin seit mehr als zehn Jahren gegen „die gewaltsame Anpassung der Natur an die Ziffern und Pläne von Amtsstuben“. In einem Interview mit der Regierungszeitung Iswjestija geht er mit den Zuständigen hart ins Gericht. „Wir verwandeln Sibirien mehr und mehr in einen bald ausgeplünderten Abfallhaufen... bei wahren Herren pflegt das nicht so zu sein, sein eigenes Land auszubeuten wie bei einer vorübergehenden und konzessionierten Herrschaft. Sibirien ist groß, aber die zusammenraffenden Hände der Ministerien und Ämter, getrieben lediglich durch den heutigen Vorteil, gelangen immer weiter auch bis in seine entferntesten Ecken, und vorläufig ändert sich an dieser Wirtschaftsweise nichts.“ „In einer friedlichen Zeit muß man den Baikal in eine Reihe stellen mit den Orten der großen Schlachten im Kriege zum Schutz des Vaterlandes“, erklärt der Schriftsteller. „Heute ist das für niemanden ein Geheimnis, daß Zellstoff–Kombinate am Baikal und am Selenga–Fluß nicht hätten gebaut dürfen. Aber das war auch schon kein Geheimis vor 20und 25 Jahren. Wissenschaftler warnten vor den Folgen, die sich in größerem Maßstab bewahrheiteten als befürchtet, man versuchte, die Gesellschaft zu Verstand zu bringen.... Der Staat erlitt gewaltige Verluste, der Baikal nahm tragischen Schaden, der patriotischen, richtigen Ansicht fügte man einen vernichtenden Schlag zu. Nach Ende der sechziger Jahre verstummte sie für lange Zeit.“ Rasputin fragt: „Und wer ist dafür verantwortlich? Wurde irgendjemand zur Rechenschaft gezogen für die Unverschämtheit der Industrieressorts, für den wissenschaftlichen Unfug, für die demagogischen Verzerrungen, mit denen man die wissenschaftliche Wahrheit übertünchte?“
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