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Auf den kleinen General folgt ein Prediger

■ In Nordrhein–Westfalens CDU hat Blüm Biedenkopf abgelöst / Blüm verlangt „Loyalität“ und die Biedenkopf–Gegner scheitern bei den Vorstandswahlen / Debakel für Pützenhofen / Schlechte Noten vom scheidenden Biedenkopf für den Bonner Kohl–Kurs

Von Jakob Sonnenschein

Essen (taz) - Mäßiger Beifall und ein unauffälliger Blumenstrauß - die Verabschiedung von Kurt Biedenkopf hätte kläglicher nicht ausfallen können. Es schien so, als könne der Parteitag der nordrhein– westfälischen CDU seinen gescheiterten Vorsitzenden gar nicht schnell genug loswerden. Nur nicht umdrehen, nur nicht innehalten. Nach vorne marsch, lautete die Parole. Über eine Stunde lang hatte Biedenkopf am Freitag dem Parteitag eindrucksvoll dargelegt, daß mit der Politik des „weiter so Deutschland“ die Zukunft nicht zu bewältigen ist - die Reaktion war Schweigen. Kann man einen Intellektuellen härter strafen, als durch vollständige Ignoranz? So als habe niemand gesprochen folgte der nächste Tagesordnungspunkt. Norbert Blüm stellt sich vor: „Ich habe nur drei ganz einfache Sätze voranzustellen. Der erste Satz: Wir fangen neu an. Der zweite Satz ist fast noch einfacher: Wir müssen zusammenstehen. Und der dritte Satz: Wir wollen gewinnen.“ Der Parteitag jubelt. Endlich einer, der unkompliziert formuliert. Keine Aufforderung zum Nachdenken, keine qüalerischen Selbstzweifel. Endlich einer, der Antworten gibt, auch ohne die Lösung zu kennen. „Sind wir wirklich bereit, als politische Gemeinschaft, als Partei, die Aufgabe, Treuhänder der Zukunft zu sein, zu übernehmen und danach zu handeln, die Auseinandersetzung mit den organisierten Besitzständen wirklich aufzunehmen, ..und damit notwendigerweise verbundene Konflikte auch auszutragen?“, hatte Biedenkopf demgegenüber zuvor gefragt und dem Arbeitsminister dann vorgehalten: „Die Arbeitslosigkeit hat sich in den vergangenen vier Jahren kaum verringert. Die Erwartung, durch Wirtschaftswachstum alleine entstünde nachhaltige zusätzliche Beschäftigung, ist nicht realistisch. Die Nachfrage nach Arbeit insgesamt, gemessen in Arbeitsstunden pro Jahr, hat kaum zugenommen“. Schlappe für Kohl–Vasallen. „Dumm und töricht“ hatte dagegen der oberste Christdemokrat, Parteichef Kohl, die Forderung nach der 35–Stunden–Woche genannt. Genau so „dumm und töricht“ wie die Diskussion über die Kernenergie oder die Atomwaffen? „Ich werde den Verdacht nicht los, daß viele Besitzstände in unserem Land den Konsens auch deshalb predigen, weil sie sich davon erhoffen, daß eine leidenschaftliche Auseinandersetzung über die Änderung von Besitzständen in einem solchen Klima nicht mehr möglich ist“, hatte Biedenkopf gewarnt. Sind solche Diskussionsbeiträge nun, nach dem Sturz des „Kopfes“, in der NRW–CDU gänzlich passe? Am Freitag schien es so - bis zu den Vorstandswahlen. Dann meldete sich der Biedenkopf–Flügel zurück - mit dem Stimmzettel. Wie erwartet, gab es saftige Mehrheiten für Blüm und seinen Generalsekretär Linssen, beim Rest schlug das Sympathiependel aber in Richtung des Gestürzten aus. Der von Kohl immer wieder gegen Biedenkopf vorgeschickte Staatssekretär Ottfried Hennig scheiterte ebenso wie der EX–Stellvertreter Dieter Pützhofen, der das schlechteste Ergebnis einfuhr. Schon bei dessen Vorstellung - „Ich möchte weiterarbeiten“, Antwort aus dem Saal: „Um Gottes willen, Unverschämtheit“ - hatte es, einmalig in der CDU, Proteste, Pfiffe und Zwischenrufe gehagelt. Als die Wahlergebnisse am späten Freitag abend in der noblen Herberge der Christdemokraten bekannt wurden - der Parteitag hatte sich vor dem Ende der Auszählung auf Samstag vertagt - war die Freude am Biedenkopf– Tisch unüberhörbar. Der Bonner CDU–Pressesprecher Merschmeier, neugierig zum Tische der speisenden Biedenkopf–Getreuen geeilt, fing sich eine kühle Absage von dessen Frau Ingrid ein. „Herr Merschmeier, ich glaube, sie sind nicht eingeladen.“ Eine Episode, die, ganz im alten NRW–Stil, am nächsten Tag für die wildesten Gerüchte sorgte. „Biedenkopf hat Merschmeier und Radunski (Bundesgeschäftsführer) rausgeschmissen“, lautete eines. Mitverlierer Pützhofen gab sich am Samstag, trotz seiner derben Abfuhr, schon wieder humorvoll und steuerte dies zur Erklärung seiner Niederlage bei: „Das ist rheinisch. Die Leute bringen einen um, und dann sitzen sie da mit Tränen in den Augen und sagen, schade, daß du tot bist.“ Selbst für Biedenkopf fand Pützhofen noch tröstende Worte. Der sei „an seinen Beratern, nicht an sich selbst gescheitert“. Erst hätten sie Biedenkopf in die Konfrontation getrieben, um dann in der Landtagsfraktion zu fordern, Pützhofen und Biedenkopf müßten weg. „Kriegsgewinnler“ nennt Pützhofen diese Sorte von Parteifreunde. Hatte Pützhofen die Warnung von Blüm überhört, der gesagt hatte: „Der erste, der wieder das Messer in die Hand nimmt, kriegt es aus der Hand geschlagen.“ Ansonsten kein Blick zurück: „Ich bin zuständig für die Zukunftsbewältigung.“ Als Blüm am Samstag gegen 11.30 Uhr dann zu seinem Schlußwort ansetzt, ist der Saal wieder gefüllt. Knapp zwei Stunden hatte sich der Parteitag zuvor lustlos mit der „Familie“ und mit dem „Frieden mit der Natur“ beschäftigt. Blüm nahm sich dann die Politik von Johannes Rau vor. Das größte Investitionshemmnis in NRW seien die Sozis selbst. Mit ihren Nürnberger Ausstiegs– Beschlüssen gefährdeten sie auch die Kohle. „Wer aus der Kernenergie aussteigt, steigt aus dem Konsens aus und verläßt auch die Kohle. Er läßt die Bergleute im Stich“, drohte der neue CDU– Chef. Dann folgten Attacken gegen den Sozi–Filz an Rhein und Ruhr, ein Thema, dem sich vor Jahren auch schon Biedenkopf erfolglos gewidmet hatte. Einer aus seiner Umgebung weiß, warum: „Weil wir den schwarzen Teil des Filzes ausgeklammert haben.“ Blüm sieht die Sozis historisch am Ende: „Sie kämpfen die Schlachten von vorgestern.“ Die „Progressiven von gestern sind die Reaktionäre von heute.“ Immerhin, gegen den schwarzen Reaktionär aus München fiel Blüm auch etwas ein: Weil Rassentrennung „unchristlich ist“, „kann Botha nicht unser Freund sein“. Und, „weil niemand gefoltert werden darf“, fordert Blüm die von Strauß bis heute verhinderte Unterzeichnung der Europäischen Anti–Folterkonvention. Ansonsten bleibt die NRW–CDU „eine Partei der Mitte“, und NRW wird wieder „das industrielle Herzstück unseres Landes“, wenn Blüm nur erst Ministerpräsident ist. Kommentar S.4

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