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Die zufällig Überlebenden von Izieu

■ Im Barbieprozeß in Lyon sagten Zeugen zum Gestapo–Überfall auf die jüdischen Kinder in Izieu aus / Von der Schwierigkeit der Auschwitz–Überlebenden Lea Feldblum, das Geschehene gerichtsverwertbar zu beschreiben/Zwangsvorgeführter Barbie hat „nichts zu sagen“

Aus Lyon Lothar Baier

„Für das abscheuliche Verbrechen von Izieu gibt es weder ein Verzeihen noch ein Vergessen.“ Die Zeugin, die am Mittwoch, am 13. Verhandlungstag, diese Erklärung abgibt, ist dem Verbrechen nur durch einen Zufall nicht zum Opfer gefallen. Die heute 80jährige Sabina Zlatin, die Frau des Heimleiters der jüdischen Kinderkolonie, war nach Montpellier verreist, als die Gestapo von Lyon das Heim am 6. April 1944 überfiel und sämtliche Insassen, 44 Kinder und zehn erwachsene Erzieher, von einer Wehrmachtseinheit abtransportieren ließ. Die Zeugin hatte sich seit dem Inkrafttreten der antijüdischen Gesetze innerhalb Vichy–Frankreichs im Jahr 1940 um jüdische Kinder gekümmert, die dank der Absurdität dieser Gesetzgebung von ihren in Internierungslagern eingesperrten Eltern getrennt wurden. Die Zustände in diesen von Vichy verwalteten Lagern unterschieden sich kaum von denen der deutschen KZs. Nach der Besetzung der südlichen Zone Frankreichs durch die Wehrmacht hatte man versucht, die aus allen Teilen Europas stammenden jüdischen Kinder in dem von Italien besetzten Savoyen in Sicherheit zu bringen. Auf der Suche nach einem geeigneten Haus war man auf ein großes Haus in dem Dorf Izieu im Jura gestoßen, das zwar nicht in der italienischen Zone lag, aber doch scheinbar weit genug vom Zugriff der Nazis entfernt. Eine andere Zeugin, Gabrielle Tardy, ehemalige Aushilfslehrerin im Heim von Izieu, sagt aus, daß sie in dieser Zeit nie eine deutsche Uniform sah. Die Razzia, als deren Urheber Klaus Barbie vor Gericht steht, kam aus heiterem Himmel. Am 13. Verhandungstag steht die Geschichte von Izieu nicht mehr nur auf dem Papier des Fernschreibens, auf dem Barbie die Deportation der Kinder und ihrer Erzieher an seine Vorgesetzten in Paris gemeldet hat. Es ist von der Denunziation die Rede, die der Razzia vorausging, nur ist der französische Denunziant, der ehemalige Landwirt Lucien Bourdonder, der im Jahr 1947 für seine Tat verurteilt worden war, nicht auffindbar. Zwei Augenzeugen sagen aus: Leon Reifman, damals Medizinstudent, der sich hinter einem Busch versteckte und der Festnahme entging, und der frühere Landarbeiter Julien Favet: War der Mann in Zivil - „mit Gabardinmantel und weichem Hut“, der in Izieu im Hof stand - der SS– Obersturmführer Barbie? Oder war das einer seiner Untergebenen aus der Gestapoabteilung IV? Die für das Gericht wichtige Frage wird nicht eindeutig beantwortet. Die heute in Israel lebende Lea Feldblum ist die einzige Erzieherin des Heims, die die Deportation nach Auschwitz überlebte. Ihr Bericht über die Razzia und den Abtransport verliert sich in wortreichen Beschwörungen und der Aufzählung von Nebensachen. Sie möchte alles auf einmal sagen und sagt deshalb fast nichts. Es kommt öfter vor in Lyon, daß sich das Unerträgliche einer Aussage von ihrem Inhalt auf die Form verlagert. Weder der Gerichtsvorsitzende noch die Anwälte der Nebenklage noch der Verteidiger haken mit Fragen nach. Die Zeugin Lea Feldblum tritt ab, grüßt Jacques Verges, den sie sichtbar nicht als Barbies Verteidiger erkennt. Die Anwesenden spüren, daß man von jemandem, der lebend aus der Todesfabrik Auschwitz zurückkam, nicht noch eine gerichtsverwertbare Beschreibung des Fabrikvorhofs verlangen kann. Auf den Stufen des Justizpalasts liegen 44 Rosensträuße, für die Kinder von Izieu. Am Vortag waren Schaulustige und Berichterstatter über die Stufen geeilt, angelockt vom Gerücht, daß Klaus Barbie nach 14 Tagen Abwesenheit wieder zu besichtigen sei. Als wäre nichts gewesen, hatte sich Barbie auf seinen Sitz führen lassen. Fünf Zeugen identifizierten ihn dort, bekamen auf ihre Fragen aber nur die Antwort: „Ich habe nichts dazu zu sagen.“ Nichts zu sagen zu der Folter in der Badewanne und dem Ochsenziemer.

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