Friedenspolitisch den Löffel abgegeben

■ Die Grünen–Bundestagsfraktion läuft Gefahr, in der Abrüstungsdebatte von den Ereignissen überrollt zu werden / Konzeptionslos auf ureigenstem Politikfeld / BAG Frieden: „Polittheater“

Von Charlotte Wiedemann

Bonn (taz) - In der seit zwei Monaten tobenden Abrüstungsdebatte ist von den Grünen wenig zu hören. Die Partei, die einmal als parlamentarischer Arm der Friedensbewegung galt, hat sich auf diesem ureigensten Politikfeld offensichtlich selbst völlig lahmgelegt. Auf dem kleinen Parteitag der Grünen, dem Bundeshauptausschuß am morgigen Sonnabend, wird die Kontroverse über die Linie grüner Friedenspolitik einer der Hauptdiskussionspunkte sein. Wenn die Bundestagsfraktion nicht spätestens bis zur Regierungserklärung über die „Null–Null–Lösung“ in der kommenden Woche mit einer eigenen Position initiativ wird, werden die Ereignisse sie ohnehin völlig überrollt haben. Mit einem Offenen Brief an die grüne Parlamentsfraktion hat die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Frieden jetzt ihre Kritik am „Polittheater“ der vergangenen Wochen zugespitzt. Trotz wiederholter Interventionsversuche seitens des Koordinationsausschusses der Friedensbewegung hatte die Mehrheit der Bundestagsfraktion es abgelehnt, im Bundestag per Antrag die unverzügliche Aufhebung des Stationierungsbeschlusses zu fordern, also auch in der aktuellen Debatte an der Forderung nach einseitigen Abrüstungsschritten festzuhalten, wie sie im grünen Wahlprogramm stehen. Statt dessen stimmte die Mehrheit der Fraktion am Ende einem inhaltsleeren Antrag der SPD zu, der von der Bundesregierung nur fordert, die Bemühungen von USA und Sowjetunion zu unterstützen. Inwieweit es sich dabei um taktische Verhedderungen, schlichte Inkompetenz oder um das gewollte Abrücken von friedenspo litischen Positionen handelt, wird bei den grünen Beteiligten und Beobachtern unterschiedlich interpretiert. Die Abgeordnete Nickels, die im Bundestag auch ihren Arm für den SPD–Antrag hob, sieht das mittlerweile als „schweren Fehler“ an: „Wir haben friedenspolitisch den Löffel abgegeben.“ Die Fraktion müsse noch vor der Regierungserklärung und im Vorfeld der bundesweiten Bonner Friedensdemonstration den Abzug der Pershing II und Cruise Missiles fordern, parallel zu einem möglichen Abkommen zwischen den Großmächten. Selbst derartige Kompromißvarianten waren in den Fraktionsabstimmungen bisher durchgefallen. Im Verhältnis zur Friedensbewegung haben sich die Grünen damit in eine groteske Situation manövriert: Nachdem jahrelang der Koordinationsausschuß der Friedensbewegung wegen seiner Orientierung auf Abrüstungsverhandlungen kritisiert wurde, haben sich nun die Rollen vertauscht: Die Demonstration am 13. Juni steht unter dem Motto „Den ersten Schritt tun - Atomraketen verschrotten“, während die Bonner Grünen–Politik jetzt auf Verhandeln statt Bewegung zu setzen scheint. Als Wiedergutmachung nach dem parlamentarischen Desaster gilt bei manchen Abgeordneten die für den 5. Juni geplante Blockade der Geilenkirchener Pershing–1a–Basis, die die Grünen als Fraktion durchführen wollen. Ob das friedenspolitische Blackout der Bonner Grünen darauf hinausläuft, daß bisherige Positionen aus dem Programm der Partei geschlachtet werden, wie es die BAG Frieden und die linke Fraktionsminderheit befürchten, wird sich in den kommenden Wochen auch an der Haltung zur NATO herauskristallisieren. Auf einer Realo–Pressekonferenz in Bonn in dieser Woche wurde die Forderung nach Austritt aus der NATO bereits als Politikhindernis bezeichnet.