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Mainz: Wie es nicht mehr singt und lacht

■ Ebbe in der Stadtkasse / Zwei Großkonzerne zahlen 35. Mio Mark weniger Steuern

Aus Mainz Sabine Giehle

Der Haushalt der Stadt Mainz steht kurz vor dem Zusammenbruch. Zwei Großkonzerne - darunter IBM, einer der größten Gewerbesteuerzahler der Stadt - haben aufgrund von Umsatzrückgängen ihre Vorauszahlungsbeträge erheblich zurückgenommen. In der Kalkulation der Stadt fehlen plötzlich 35 Millionen, das sind 20 Prozent der größten Einnahmequelle. Der immense Verlust ist nicht durch Umstrukturierungen auszugleichen, betrifft er doch das laufende Haushaltsjahr 1987. Nur drastischer Ausgabenstopp und Streichungen geplanter Personalstellen bleiben als letzte Handlungsmöglichkeit. IBM hat - wie schon vor einigen Wochen in den Zeitungen zu lesen war - Umsatzeinbußen durch den Flop der neuen Computergeneration hinnehmen müssen. Drastische Spar– und Umstrukturierungsvorhaben betreffen sämtliche in der Bundesrepublik ansässigen Filialen. So auch Mainz. Geplant sind „Schwerpunktverlagerungen“ von der Produktion zur hochqualifizierten Dienstleistung. Die Mainzer Filiale hat aufgrund dieses Umsatzrückgangs eine Aktualisierung der Gewerbesteuer beantragt, die sich normalerweise aus den Gewinnen des Vorjahres berechnet. Ähnlich ist ein zweiter - noch ungenannter - Großkonzern vorgegangen. Die Stadt wird nach optimistischen Schätzungen an die 35 Millionen Mark netto weniger einnehmen. Das sind 6,4 Prozent des gesamten Verwaltungshaushalts und 20 Prozent der Gewerbesteuereinnahmen, die für 1987 mit 174,7 Millionen Mark veranschlagt waren. Real hat die Stadt für 1987 mit Gewerbesteuern von 113,14 Millionen Mark zu rechnen. Durch Analogie zum Vorjahr wird geschätzt, daß noch Einnahmen von 21,7 Millionen im Laufe des Haushaltsjahres zu erwarten sind. Die fehlenden Millionen, mit denen IBM u.a. seine Umstrukturierungsmaßnahmen finanzieren wird, sollen durch Sperrung der Haushaltsansätze im Vermögenshaushalt - dies betrifft vor allem die Investitionsvorhaben der Stadt - und durch Einschränkungen im Bereich Bauunterhaltung, Grünunterhaltung, Baumsanierung und Anschaffung von Büchern für die Stadtbibliothek abgefangen werden. Die größten Einsparungen treffen den Personalbereich. Dort sollen neue Stellen nicht und freigewordene Stellen nicht mehr besetzt werden. Auf ABM– und Zeitkräfte soll vollkommen verzichtet werden. Die genannten Zahlen und Maßnahmen werden durch ein als „vertraulich“ gekennzeichnetes Papier des Finanzausschusses belegt, das der taz zugespielt wurde. Die Vermutung der taz, daß es sich hierbei um den Großkonzern IBM handele, wurde am Mittwoch vom Pressesprecher der Stadt bestätigt. Am Freitag dementierte die Stadt die aus dem Papier hervorgehende Höhe der erwarteten Einnahmeeinbußen. Es werde zwar mit Mindereinnahmen gerechnet, 35 Millionen seien aber „mit Sicherheit falsch“. Konkrete Maßnahmen seien noch nicht geplant. Bis Montagmittag war weder der Oberbürgermeister von Mainz, Hermann–Hartmut Weyel (SPD), noch sein Wirtschaftsdezernent und rheinland–pfälzischer Wirtschaftsminister in spe, Rainer Brüderle (FDP) für die taz zu sprechen. Die IBM–Zentrale in Stuttgart versicherte gegenüber der taz, in Mainz kein Personal abzubauen. Trotz Umsatzrückgang werden bei IBM immer noch Gewinne eingefahren.

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