K O M M E N T A R Das Gefühl, etwas verloren zu haben

■ Zwanzigster Jahrestag des 2. Juni

Der 2. Juni ist ein Jahrestag, der merkwürdig zwischen Gedenken und Aktualität schwebt: Die Fraktion der Grünen widmet diesem Tag eine Gewaltdebatte und der Politologe Krippendorf wünscht sich im SPIEGEL eine Gedenktafel. Der Drang zum forcierten Aktualisieren oder der Rückzug ins bloße Erinnern sind symptomatisch für die heutige Linke, die ihren Anfang in jenem Ereignis sieht. Sie ist mit diesem Datum nicht „fertig“; ein Anlaß zum Streit ist es aber auch nicht. Dennoch sollte gestritten werden, weniger über den 2. Juni selbst, als über die schiefen Traditionen der Linken, die sich auch mit diesem Datum jähren. Da gibt es die linke Geschichte als Opfer–Geschichte, als Geschichte einer säkularen Minderheit. In diesem Geschichtsbild erscheint der Staatsapparat als Lawine in Zeitlupe, immer als Macht, die prophylaktisch die Opposition zerschlägt. Dieses Geschichtsbild zieht eine Linie vom Tod Benno Ohnesorgs über die Berufsverbote, die Menschenjagd auf die RAF bis hin zum Atomstaat; seit dieser Zeit sind scheinbar unauflöslich Minderheitsstatus und Radikalität miteinander verknüpft. Es ist vielleicht die schlechteste Tradition der Linken, sich aus der Übermachtsphantasie des Staates zu legitimieren. Der 2. Juni 1967 schien damals diese Übermacht des Staates zu zeigen. Aber er wäre nicht zu dem historischen Datum geworden, wenn es die Linke nicht verstanden hätte, diesen Angriff der Staatsgewalt als Schwäche zu lesen. Wenn mit dem 2. Juni schon eine Tradition begründet werden soll, dann müßten andere Dinge zählen: die Entschlossenheit, die Gunst der Stunde zu nutzen; die Fähigkeit, schneller als der Gegner zu sein; die Bereitschaft, mit allen demokratischen Instanzen und allen Bündnispartnern zu arbeiten. Wenn man sich schon an dieses Datum erinnert, dann sollte man sich klar machen, mit welch geringen Kräften die Linke ihre Debatte der Bundesrepublik aufgezwungen hat. Das heißt umgekehrt: mit welch großen Kräften heute die Linke sich Debatten aufzwingen läßt, unter anderem die staatliche und linksamtliche Gewaltdebatte. Die Linke hat heute mehr reale Macht als früher, aber sie hat weniger „Diskussionsmacht“. Nicht zuletzt deswegen, weil sie weniger über ihre Chancen streitet, sondern sich lieber selbst zerstreitet. Angesichts von Linkshaberei und Strömungshickhack ist es kein Wunder, daß da im Rückblick auf die letzten zwanzig Jahre ein Gefühl aufkommt, man habe etwas verloren. Klaus Hartung