: Hintertür für Atom–Raketen?
■ In Westeuropa wird das westdeutsche Einlenken auf „Null Null“ begrüßt / Kritik vom SIPRI
Berlin (dpa/afp/taz) - In den verschiedenen europäischen Ländern ist die Verständigung der Bonner Regierungskoalition auf die „Null Null“–Lösung, die Abrüstung atomarer Mittelstreckenraketen einer Reichweite zwischen 500 und 5.000 Kilometern, begrüßt worden. Als Gründe für das Einlenken auf die Position, die Außenminister Genscher anfangs allein vertreten hatte, sieht die Neue Züricher Zeitung die Isolation Bonns in der NATO und die „empfindlichen CDU–Verluste“.Der Leiter der US–Abrüstungsbehörde, Adelman, bezeichnete das westdeutsche Einlenken als „positive Entwicklung“. Die 72 deutschen Pershing–Trägerraketen hätten als „Drittstaatensysteme“ ohnehin nicht bei dem sowjetisch–amerikanischen Abkommen zur Verhandlung angestanden. Der stellvertretende sowjetische Verhandlungsleiter bei den Genfer Rüstungskontrollverhandlungen, Obuchow, betonte derweil, daß nach den sowjetischen Vorstellungen die Pershing–Sprengköpfe abgezogen werden müßten. Der gemeinsame Entwurf für die Mittelstreckenverhandlungen enthalte noch viele strittige Punkte, über die im Sommer verhandelt werden müsse, meinte Obuchow. Fortschritte bei den Verhandlungen über die strategischen Atomraketen und die Weltraumrüstung sind für 1987 nicht zu erwarten. Die politische Diskussion entzündet sich derweil an dem westdeutschen Wunsch, die 72 Pershing1a behalten zu dürfen. Fortsetzung Seite 2 Der Direktor des Stockholmer Friedensinstituts SIPRI, Walter Stützle, findet das Festhalten an den Pershing1a militärisch „be langlos“: „Das ganze kommt mir vor wie der Streit zwischen Leuten über eine Taschenlampe, die gar keine Birne hat.“ Die Verfügung über die Sprengköpfe der Pershing behielten sich doch die USA vor. Der designierte SPD–Vorsitzende Vogel fürchtet den Eindruck, daß die BRD die Verfügung über Atomwaffen beanspruche. Das Beharren auf den Pershings sei „unverständlich“, weil sie potentielle Ziele für nukleare Schläge seien. „Warum brauchen die Deutschen diese Raketen?“ fragte auch ein Vertreter des sowjetischen Außenministeriums. Während der frühere französische Ministerpräsident und mögliche Präsidentschaftsanwärter Raymond Barre warnend von der „Denuklearisierung Deutschlands mit allen ihren Konsequenzen“ sprach, regte der CDU–Fraktionsvorsitzende Dregger ein „europäisches Verteidigungskonzept“ an, innerhalb dessen die französischen Atomwaffen auf deutschem Boden stationiert weren könnten. Die französische Zeitung Liberation sieht die Sorge der französischen und englischen Regierung, daß eine „Entnuklearisierung Europas“ die Frage nach ihren eigenen Kurzstreckenraketen aufwerfe. Eine allgemeine Abrüstung in Europa aber werde „automatisch die Frage nach den großen Gleichgewichten nach dem Zweiten Weltkrieg aufwerfen. Es ist aber äußerst unsicher, daß die verschiedenen Nationen Europas die gleiche Sicht von der Zukunft des Kontinents haben.“ K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen