I N T E R V I E W „Die Kreditverpflichtungen gelten als unmoralisch ...“

■ Patricia Brady vom US–amerikanischen „Debt Crisis Network“ über Solidaritätsaktionen zur Verschuldung der Dritten Welt in den USA / Forderung nach grundlegender Reform des IWF Das „Debt Crisis Network“ (Netzwerk Schuldenkrise) wurde Ende 1983 als Zusammenschluß verschiedener US–Nichtregierungsorganisationen in Washington gegründet, um mit gezielten Kampagnen auf die Verschuldung der Dritten Welt aufmerksam zu machen. Während des „Debt Crisis Network“ vielen bundesdeutschen Aktionsgruppen als Vorbld für eine breite Bündnisbildung gilt, wird es in den USA inzwischen auch scharf attackiert. So wirft die renommierte linke Verschuldungsexpertin Cheryl Payer dem Zusammenschluß vor, er glaube an die Reformierbarkeit von IWF und Weltbank. Patricia Brady stellte die Aktivitäten des „Networks“ am vergangenen Wochenende auf dem Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) in Fulda vor. Sie hat mehrereJahre für die UNO in Afrika gearbeitet und wurde anschließend vom American Friends Sevice Comitee, einer Hilfsorganisation aus der Quäkertradition, für die Arbeit im Netzwerk freigestellt. Sie betreut heute den Bereich „Hunger und globale Entwicklungsprogramme“, der seinen Sitz in New York hat.

taz: Auf dem BUKO wurden die Aktivitäten des amerikanischen „Debt Crisis Network“ immer wieder als Vorbild für bundesdeutsche Aktionen anläßlich der IWF–Weltbanktagung 1988 in Berlin genannt. Welche Gruppen tragen Euer Netzwerk? Brady: Wir haben unter unseren Mitgliedern Kirchen, Hilfswerke, Organisationen der Farmer und Arbeiter, aber auch unabhängige Forschungsinstitute wie das „Institute for Policy Studies“. Unser gemeinsamer Ansatz ist die Betroffenheit über die Auswirkungen der internationalen Verschuldung auf Menschen, die mit der Entstehung der Misere nichts zu tun haben. Das sind vor allem die Armen der Dritten Welt. Auf welchen Ebenen arbeitet ihr? Hauptakteure in der Verschuldungsfrage sind die Regierung und die Banken. Wir versuchen also zum einen, die Gesetzgebung im Kongreß zu beeinflussen, zum anderen führen wir ganz gezielt Kampagnen gegen bestimmte Banken durch. Daneben laufen Aktivitäten, die die Öffentlichkeit stärker für dieses Problem sensibilisieren sollen. Kannst du ein paar Beispiele für Aktionen nennen? Die Einflußnahme auf den Kongreß ist viel schwieriger als in der Bundesrepublik, da eine offene Kooperation mit der Demokratischen Partei - im Gegensatz zu den Grünen bei euch - nicht möglich ist. Wir antichambrieren also bei einigen Abgeordneten oder deren Mitarbeitern und versuchen , sie für ein Engagement zu gewinnen. Wir haben auch unsere Broschüre „From Debt to Development“ (Von der Verschuldung zur Entwicklung) im Parla ment verteilt. Unsere Kernforderungen sind: 1. Schuldenerlasse für die ärmsten Länder, vor allem in Afrika südlich der Sahara. 2. Länder, die nach allgemeiner Auffassung die Grundbedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit mißachten, sollten keine neuen Kredite erhalten. Das gilt an erster Stelle für Südafrika. 3. Die bisher praktizierten Sparprogramme des IWF sollten durch Entwicklungsprogramme ersetzt werden, die Arbeitsplätze schaffen und dazu beitragen, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. 4. Die Kredite der anderen Länder sollten so umgechuldet werden, daß der jährliche Schuldendienst 20 nicht übersteigt. Der IWF sollte grundlegend reformiert werden. Wir haben auf diese Vorschläge teilweise recht positive Reaktionen erhalten. Zumindest findet heute eine öffentliche Auseinandersetzung über diese Frage statt, was sicher auch daran liegt, daß immer mehr US–Banken in Schwierigkeiten kommen. Im Unterausschuß für Bankenwesen wird gerade eine Vorlage über eine Erleichterung der Schuldenlast Schwarzafrikas diskutiert. Die Kampagnen werden meist lokal gegen mittelgroße Banken durchgeführt und sind erstaunlich erfolgreich.Die Aktionen konzentrieren sich in der Regel auf drei Forderungen: keine Geschäfte mit Südafrika, weichere Kreditbedingugnen und Reinvestition der Gewinne in der Heimatgemeinde der Bank. Wen könnt ihr mit derartigen Aktionen ansprechen? Neben den Leuten, die ohnehin im Bereich der Entwicklungspolitik tätig sind, ist die Mittelklasse oft sehr empfänglich, weil sie sich vom Hungerproblem betroffen fühlt. Die Schwarzen können für Südafrika aktiviert werden. Aber selbst einige Arbeiter, die ihre Jobs in der Exportindustrie verloren haben, sind interessiert, sofern sie nicht auf die protektionistische Masche abfahren. Du hast vorhin das Engagement der Kirchen erwähnt? Ja, über die Gemeinden erreichen wir ein sehr breites Publikum. Am Anfang waren am Network vor allem Personen beteiligt, die früher Missionsarbeit gemacht hatten und frustiert waren, weil sie auf der Mikroebene nicht weiterkamen. Aber jetzt haben wir auch die katholischen Hilfswerke und große Kirchen gewonnen. Sehr aktiv ist die Interfaith Action for Economic Justice, die verschiedene Glaubensrichtungen umfasst oder auch die Frauenorganistion der Methodisten, die sehr radikal ist, was man vom Rest dieser Kirche nicht behaupten kann. Generell kann man sagen, daß es heute in der Verschuldungsfrage einen ganz breiten Grundkonsens gibt: Die existierenden Kreditverpflichtungen gelten als unmoralisch, weil sie Menschen töten, unter unfairen Bedingungen verhandelt wurden und das Selbstbestimmungsrecht unterminieren. Das heißt: Verschuldung ist mehr ein moralisches, als ein wirtschaftliches Problem? Es ist beides, aber vor allem eine Frage der Moral. Interview: Nina Boschmann