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Schiwkow begehrter Gesprächspartner in Bonn

■ Der Besuch des bulgarischen Parteichefs gilt als Vorbote weiterer Besucher aus dem Ostblock / Abkommen unterzeichnet, das joint ventures zwischen Bulgarien und der BRD ermöglicht / Schiwkow folgt dem Gorbatschow–Kurs, ohne „mechanisch zu kopieren“

Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) - Wenn der Gipfel der Warschauer–Pakt–Staaten nicht vor einigen Tagen in Ost– Berlin stattgefunden hätte, wäre der Arbeitsbesuch des bulgarischen Regierungs– und Staatschefs in Bonn wohl unter „ferner liefen“ abgehakt worden. Doch mit den neuen Beschlüssen zur Abrüstung in der Aktentasche ist der dienstälteste Parteichef des Sozialistischen Lagers seit Dienstag nun für die Bonner Politiker für vier Tage zum begehrten Gesprächspartner avanciert. So überrascht nicht, daß der Besucher mit dem gesamten parlamentarischen Spektrum der Bundesrepublik Kontakt aufnehmen kann. Schiwkows Gesprächspartner werden u.a. Kohl, Genscher, Weizsäcker, Rau und auch die Grünen sein. Mit Schiwkow kam der erste Ostblockführer in die Bundesrepublik, der wegen der NATO–“Nachrüstung“ 1984 schon einmal einen Besuch abgesagt hatte. Signalisierte die Absage des Bulgaren damals den Beginn einer Eiszeit, so scheint heute Schiwkow der Vorbote für weitere Besucher zu sein. Mit der Ankündigung Erich Honeckers zu einem Besuch in die Bundesrepublik ist nun klar, daß Gorbatschow für seine Verbündeten grünes Licht zur Verbesserung ihrer bilateralen Beziehungen zu den westlichen Ländern gegeben hat. Damit können die schon lange vorbereiteten Projekte angepackt werden. Nicht nur, daß mit Bulgarien über das nach Rumänien zweite westdeutsche Kulturinstitut in einem Staat des Warschauer Pakts verhandelt wird, vor allem die Kooperationsabkommen auf wirtschaftlichem Gebiet sind für die Bulgaren interessant. Mit dem wichtigsten westlichen Handelspartner sollen wirtschaftliche Kooperationsprojekte, sogenannte „joint ventures“, verwirklicht werden. Da schon 1986 ein Investionsförderungsabkommen abgeschlossen wurde, ist diesmal mit der Unterzeichnung eines Doppelbesteuerungsabkommens die Grundlage für die Gemeinschaftsunternehmen gelegt. Traditionell ist Bulgarien das Land des Sozialistischen Lagers, das der sowjetischen Politik in den letzten Jahrzehnten in all ihren Wandlungen bruchlos gefolgt war. Auch diesmal setzte sich der über 30 Jahre herrschende Schiwkow an die Spitze derer, die auf die Gorbatschowsche Politik positiv reagierten und damit seine eigene Stellung in der Partei und im Staate erneut festigen konnte, obwohl gerade er als derjenige gilt, der für die „Fehler der Vergangenheit“ verantwortlich ist. Doch Schiwkow, der unter Breschnew bevorzugte wirtschaftliche Beziehungen für sein Land von der Sowjetunion erreichen konnte, zauderte nach der Machtübernahme Gorbatschows nicht, sogleich nach einer sowjetischen Kritik am bulgarischen Wirtschaftsgefüge im Sommer 1985 über die Wirtschaftsreform im eigenen Lande nachzudenken und das starre zentralistische System der Wirtschaftplanung aufzulockern. Gorbatschow forderte die Verbesserung der Qualität der bulgarischen Waren und kritisierte das bulgarische Handelsdefizit mit der Sowjetunion, drohte somit die bevorzugte Unterstützung Bulgariens durch die Sowjetunion abzubauen. Mit der Veränderung des Neunten Fünfjahresplans (1986 bis 1990) im Dezember 1986 signalisierte die bulgarische Führung die Bereitschaft, Marktmechanismen in die Planung einzufügen. Die Neue Ökonomische Politik soll bis Ende 1987 greifen. Mit der Wahl von Betriebsleitern im Herbst 1986 schien sich sogar anzudeuten, daß die bulgarische Partei der sowjetischen politisch–gesellschaftlichen Reform getreulich folgen würde. Es könne aber „kein mechanisches Kopieren“ der sowjetischen „revolutionären Änderungen geben“, schränkte Schiwkow derartige Hoffnungen in diesen Bonner Tagen ein. Da aber über die Notwendigkeit eines neuen „ökonomischen, politischen, technischen Klimas“ für die wissenschaftliche und technische Revolution diskutiert wird, die „wir, koste was es wolle, verwirklichen müssen“, wie es in einer Artikelserie in einer bulgarischen Zeitung noch im Vorjahr hieß, ist wohl auch in diesem Land des Lagers die Reform nicht mehr aufzuhalten.

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