Vertraute Feindbilder

■ Über die Bequemlichkeit von Feindbildern

Nichts scheint so schwer veränderbar wie gut gepflegte Feindbilder. Seit vor Monaten bekannt wurde, daß US–Präsident Ronald Reagan im Rahmen der 750–Jahr–Feier Berlin–West besuchen würde, war klar: Kein Reagan–Besuch ohne die entsprechende Demo. Nostalgische Erinnerungen an die Schlacht am Nollendorfplatz, die beim letzten US–Präsidentenbesuch in Berlin für Schlagzeilen in aller Welt sorgte, schafft für manche gleichsam so etwas wie eine historische Verpflichtung. Nun ist internationale Politik keine statische Größe. Eigentlich kann es auch den Veranstaltern der heutigen Großdemonstration nicht entgangen sein, daß in der seit Wochen die Gemüter bewegenden Abrüstungsdebatte nicht Ronald Reagan, sondern die Bundesregierung der Bremser ist. Damit wird Reagan nicht zum Friedensfürst, aber auch die „Bewegung“ müßte wissen, daß Außenpolitik nicht aus moralischen Motiven, sondern klaren nationalen Interessen gemacht wird. In dieser Situation, die in Ansätzen ein gemeinsames Interesse zwischen US–Administration und westeuropäischer Friedensbewegung erkennen läßt, auf den US–Imperialismus in Mittelamerika zu verweisen, hat dieselbe Qualität, wie wenn Dregger und Todenhöfer angesichts Gorbatschows Vorschlägen über Menschenrechte und Afghanistan lamentieren. Einfache Weltbilder erleichtern eben die Orientierung. Politische Veränderungen sind so schwerlich zu erreichen. Aber vielleicht sind die vertrauten Feindbilder ja auch viel wichtiger. Jürgen Gottschlich