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Prozeß um AKW Mülheim–Kärlich

■ Stadt Neuwied befürchtet Beeinträchtigung ihres Trinkwassers durch den Atommeiler Gutachter: AKW steht auf erdbebengefährdetem Gebiet / Kernschmelze sei nicht auszuschließen

Aus Koblenz Felix Kurz

Das Atomkraftwerk Mülheim– Kärlich ist auf einem erdbebengefährdeten Untergrund gebaut und kann „jederzeit“ durch ein Erdbeben erheblich beschädigt werden. Diese Meinung vertraten die drei Sachbeistände der Stadt Neuwied in der Berufungsverhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland–Pfalz in Koblenz. Die Gemeinde Neuwied und der Grüne Joachim Scheer klagen derzeit vor dem 7. Senat des OVG gegen die 2. Teilerrichtungsgenehmigung (TG) des AKW Mülheim–Kärlich. Diese regelt die Standortfrage des Reaktors, bei der man nach den Worten des Hamburger Geomorphologen Prof. Grimmel von „viel zu niedrigen Werten“ eines möglichen Erdbebens ausgegangen sei. Grimmel kommt zu dem Ergebnis, daß „niemand starke Erdstöße ausschließen kann“, die „jederzeit möglich“ seien. Der Atommeiler ist auf zwei Erdschollen gebaut. Diese „Tatsache“ sei im Genehmigungsverfahren nicht ausreichend berücksichtigt worden, so der Prozeßvertreter der Stadt Neuwied, Prof. Wimmer. Insgesamt, so Wimmer, habe man im Genehmigungsverfahren „nicht genug Vorsorge“ gegen die Gefahrenpotentiale des AKW getroffen. Er beantragte deshalb beim Senat die Erstellung neuer Gutachten über die Sicherheit des Reaktors, die die seismologischen und vulkanologischen Gefahren für das AKW berücksichtigen sollen. Bis Redaktionsschluß war über diese Beweisanträge noch nicht entschieden. Der Atomphysiker Lothar Hahn sieht vor allem durch mögliche Erdstöße die Sicherheit des Maschinenhauses und der Rohrleitungsbrücke „besonders gefährdet“. Hahns Fazit: „Im schlimmsten Fall könnten ein Versagen der Absperr–Armaturen oder ein Defekt in der Wärmeabfuhr ein Kernschmelzen zur Folge haben.“ Diese Einschätzung wiesen die Betreiber des AKW allerdings als übertrieben zurück. Sie stellten zudem in Abrede, daß die von Hahn genannten Teile des AKW überhaupt gefährdet seien. Die Stadt Neuwied befürchtet darüber hinaus eine ernsthafte Gefährdung ihrer Trinkwasserversorgung durch die radioaktiven Emissionen. So grenzt direkt an das Gelände des Reaktors ein Wasserschutzgebiet, aus dem die Stadt ihr Trinkwasser bezieht. Die Stadt Neuwied hat ebenfalls deshalb beantragt, daß durch einen Gutachter festgestellt werden soll, ob durch einen Störfall, bei dem als Folge radioaktiv verseuchtes Wasser austritt, auch der Förderbrunnen Neuwieds in Mitleidenschaft gezogen wird.

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