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Südafrika: Generalstreik zum Soweto–Jahrestag

■ Schwarze Bevölkerung erfüllt sich selbst ihre Forderung, den 16. Juni zum Feiertag zu machen / Züge, Busse und Schulen blieben leer / Gedenkfeiern ohne größere Zwischenfälle / Nach internationalen Protesten wurden Hunderte von inhaftierten Kindern freigelassen

Aus Johannesburg Hans Brandt

Vier Videobänder, die die südafrikanische Polizei am Dienstag nachmittag beschlagnahmt hatte, mußten am gleichen Abend dem Johannesburger ARD–Büro zurückgegeben werden. Die Konfiszierung der Bänder war in einem dringenden Gerichtsverfahren für unzulässig erklärt worden. Die Bänder enthielten Aufzeichnungen einer Rede des südafrikanischen Erzbischofs Desmond Tutu in der mosambikanischen Hauptstadt Maputo. „Ich werde der Welt sagen, wann wir den Punkt erreicht haben, wo wir Gewalt anwenden müssen, um ein ungerechtes Regime zu stürzen,“ hatte der Friedensnobelpreisträger gesagt. Vor Gericht hatte der zuständige Polizeibeamte, Major Smit, ausgesagt, daß er die Beschlagnahmung der Videobänder infolge der letzte Woche erneuerten Ausnahmebestimmungen angeordnet habe. Es habe der Verdacht bestanden, daß die Bänder als Beweismaterial für eine mögliche Hochverrats– oder Terrorismus–Anklage gegen Tutu dienen könnten. Tutu befindet sich auf einer zweiwöchigen Reise in Mosambik, für das er als anglikanischer Erzbischof des südlichen Afrika zuständig ist. Er leitete in Maputo am Dienstag eine Gedenkfeier zum elften Jahrestag der Soweto–Aufstände von 1976, bei denen mehrere hundert Jugendliche ums Leben kamen. In Südafrika selbst beteiligten sich an dem von Anti–Apartheid– Gruppen als „Tag der Jugend“ begangenen Jahrestag Millionen Schwarze im ganzen Land an einem der größten Generalstreiks der südafrikanischen Geschichte. Züge, Busse und Schulen blieben leer, Geschäfte geschlossen, die Straßen von Johannesburg wirkten verlassen. Damit hat die Mehrheitsbevölkerung effektiv ihre seit langem vorgebrachte Forderung durchgesetzt, den 16. Juni zum Feiertag zu erklären. Selbst ein Sprecher der Vereinigung der Handelskammern (ASSOCOM) räumte ein, daß zahlreiche Firmen in Übereinkommen mit Gewerkschaften und Angestellten den 16. Juni als Urlaubstag anerkannt haben. Oppositionsgruppen hatten in der letzten Woche ihre Unterstützer dazu aufgerufen, den Jahrestag mit „Ruhe und Würde“ zu begehen und Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften zu vermeiden. Zudem hatte Pretoria diesmal das sonst an diesem Tag übliche Versammlungsverbot nicht verhängt, wohl in der Hoffnung, damit den Erfolg des ein Jahr alten Ausnahmezustandes bei der Wiederherstellung von „Ruhe und Ordnung“ in schwarzen Wohngebieten zu demonstrieren. So konnten in diesem Jahr zahlreiche Gedenkfeiern und Versammlungen stattfinden. Tatsächlich verlief der Tag ohne größere Zwischenfälle. Nur vereinzelt ging die Polizei nach eigenen Angaben mit Tränengas gegen Menschengruppen vor, die sich nach Versammlungen nicht schnell genug auflösten. Der 16. Juni ist einer der wichtigsten Tage im Kalender des schwarzen Widerstandes. 1976 gingen an diesem Tag Tausende von Schülern im Schwarzenghetto Soweto auf die Straße, um gegen die Einführung der burischen Sprache Afrikaans im Unterricht zu protestieren. Dieser Protest gegen die „Sprache der Unterdrücker“ wurde rücksichtslos unterdrückt. In der Woche vor dem 16. Juni und kurz vor der Erneuerung des Ausnahmezustandes am 11. Juni hatte Pretoria zahlreiche Ausnahmehäftlinge freigelassen. Mit der Freilassung von Hunderten von Kindern reagierte die Regierung auch auf die internationale Kampagne gegen deren Inhaftierung und Mißhandlung im Gefängnis. Trotz der Freilassungen schätzen Menschenrechtsgruppen jedoch, daß sich noch immer etwa 3.000 Apartheid–Gegner infolge des Ausnahmerechts hinter Gittern befinden, darunter etwa 1.000 Kinder unter 18 Jahren.

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