: Mieses Essen und ein Lagerleben zum Flüchten
■ In elf Sammellagern verweigern über 600 Flüchtlinge die ihnen zugeteilten Lebensmittel / Nürnberger Firma verdient sich an den „Essenspaketen“ eine goldenen Nase / Unterbringung der Asylsuchenden ist entwürdigend / 30 Quadratmeter für neunköpfige Familie
Aus Nürnberg Wolfgang Gast
„Wenn wir schon beweisen müssen, daß wir politische Flüchtlinge sind, warum behandelt man uns dann wie Gefangene, die nicht einmal über ihr eigenes Essen bestimmen dürfen?“ Die Klage führt ein iranischer Flüchtling im Sammellager Schaffhof am Stadtrand von Nürnberg. Das Leben im Lager ist stumpfsinnig und durch die miserable Verpflegung und die entwürdigende Unterbringung geprägt. Etwa 70 Flüchtlinge in Nürnberg verweigern derzeit für mehrere Wochen die ihnen zugeteilten Lebensmittel. In Bayern wird die Sozialhilfe, wie auch in einigen anderen Bundesländern, in Form von Essenspaketen geleistet. Vom regulären Sozialhilfesatz erhalten die Asylsuchenden lediglich 67 DM Taschengeld im Monat. In elf Sammelunterkünften in Nordbayern haben sich inzwischen über 600 Asylbewerber dem Streik angeschlossen und fordern statt der Essenspakete die Auszahlung der ganzen Sozialhilfe in Bargeld. Unterstützt werden sie dabei von der örtlichen amnesty– Gruppe, der Initiative „Freie Flüchtlingsstadt“ und dem Kreisverband der Grünen. Die Lebensmittel in den Essenspaketen sind zudem miserabel. Der Inhalt ist oft verschimmelt. Ein Eritreer erhielt beispielsweise in der letzten Woche eine Ration mit verfaulten Fischstäbchen und in der mitgelieferten Packung Naturreis hatten sich bereits die Würmer breit gemacht. Obst und Gemüse sind Mangelware. „Nur im Mai letzten Jahres, kurz nach Tschernobyl, haben wir viel Milch und viel Gemüse bekommen“, berichtet ein 24jähriger Iraner. Die Essenspakete werden von der Nürnberger Firma „Weigel“ im ganzen bayerischen Raum geliefert. Ausgeteilt werden sie zweimal pro Woche: Die Firma stellt dafür der Bezirksregierung in Mittelfranken, der Trägerin der Wohnheime, pro Dreitagesportion 21 DM in Rechnung. Allein in Nürnberg beläuft sich der Umsatz des Unternehmens bei rund 560 Asylsuchenden auf über 1,4 Millionen DM. Nicht nur, daß der Inhalt der Pakete größtenteils völlig an den Ernährungsgewohnheiten der Flüchtlinge vorbeigeht, auch der Wert der gelieferten Lebensmittel liegt weit unter dem berechneten Preis. Bei einem Vergleichseinkauf im nahegelegenen Supermarkt ergab sich für die Nürnberger Grünen–Stadträtin Sophie Rieger, daß die im Paket gelieferten Lebensmittel für ganze 13 DM zu kaufen sind. In Schaffhof haben sich jetzt die Iraner in einem „Komitee für iranische Flüchtlinge“ zusammengeschlossen. In einer Erklärung beklagen sie die wachsende psychische Belastung. „Die zermürbende Dauer des Asylverfahrens steigert die Verzweiflung und die Angst vor Ablehnungsbescheiden und Abschiebeversuchen.“ Der Unfall eines fünfjährigen Jungen aus Eritrea am vergangenen Wochenende im Lager in der Schloßstraße hat den Zorn der Bewohner auf die ihnen zugemuteten Lebensverhältnisse noch zusätzlich gesteigert. Aus Platzmangel müssen die Kinder in den Gängen des Gebäudes spielen. Der Junge stürzte dabei aus einem Fenster im zweiten Stock und verletzte sich lebensgefährlich. Außer der Möglichkeit, ihren Speiseplan selbst bestimmen zu können, fordern die Flüchtlinge die Auflösung der Sammellager. Untergebracht sind sie in engen Räumen, oft mit Stockbetten. Krassestes Beispiel ist im Nürnberger Wohnheim an der Schloßstraße eine neunköpfige Familie aus Eritrea, die in einem 30 Quadratmeter großem Zimmer leben muß. In dem ehemaligen Fabrikgebäude des Elektrokonzerns Grundig sind zur Zeit an die 240 Asylbewerber, überwiegend Familien, untergebracht. Der jetzige Besitzer des Gebäudes, die Philipp Holzmann AG, erhält nach Angaben der Initiative „Freie Flüchtlingsstadt Nürnberg“ pro Nacht und Flüchtling 10 DM Miete. Bis zu sieben Familien teilen sich eine Etage in jedem der zwei Seitentrakte. Für jedes Stockwerk stehen den Flüchtlingen nur zwei Duschen und eine heruntergekommene Gemeinschaftsküche mit zehn Herdplatten zur Verfügung. Für alle Bewohner gibt es lediglich eine Waschmaschine, und noch vor kurzem mußten pro Waschgang zwei Mark bezahlt werden. Spielmöglichkeiten für die zahlreichen Kinder gibt es keine, lediglich wochentags wird vormittags einer der beiden Gemeinschaftsräume als Kindergarten genutzt. Auf der einzigen Freifläche, im überdachten Hof des früheren Werkgeländes, stehen Müllkontainer, deren fauliger Gestank jeden vertreibt. Die Forderung nach Barauszahlung der Sozialhilfe ist wiederholt von verschiedenen Nürnberger Initiativen gestellt worden. Zuletzt faßte sogar der Nürnberger Stadtrat mit rot–grüner Mehrheit einen gleichlautenden Beschluß. Die Zuständigkeit dafür liegt jedoch beim Bezirk Mittelfranken und dieser hält sich an die Weisungen aus dem bayerischen Innenministerium. Für einen iranischen Flüchtling, der zu Zeiten des Schahs in Marburg studierte und unter dem Regime der Mullahs ein zweites mal flüchten mußte, ist die Stoßrichtung der Politik offensichtlich. Bayern gehe es darum, mit der entwürdigenden Behandlung möglichst viele Asylsuchende abzuschrecken.
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