piwik no script img

P O R T R A I T Der Mann, der nicht genug kriegen konnte

■ Bernard W. Rogers, NATO–Oberbefehlshaber seit 1979, nimmt heute seine Mütze / Wird die doppelte Null–Lösung Realität, waren Rogers Bemühungen völlig umsonst / Europäer hätten gestörte Wahrnehmung der sowjetischen Bedrohung

Washington (taz) - Seine klugen Ratschläge solle er besser „in der Pfeife rauchen“, meinte Außenminister Shultz und fügte hinzu, daß ein General, der die amerikanische Politszene acht Jahre lang nur von Europa aus beobachtet habe, sich mit seinen jüngsten Bemerkungen „zu weit vorgewagt habe“. Der vorlaute General heißt Bernard W. Rogers, und seine entrückte Perspektive ist der Tatsache geschuldet, daß er sich seit 1979 gelegentlich in seinen Funktionen als oberster Kommandant der NATO–Truppen mit Sitz in Brüssel zum Prokonsul der westlichen Vormacht aufgeschwungen hat. Leicht hat Rogers es nicht gehabt in diesen Jahren, sah er sich doch verpflichtet, die Stationierung der Pershing II und der Cruise–Raketen gegen den Widerstand der widerspenstigen Europäer durchzuboxen. Außerdem setzte er sich vehement für die Einführung des Air–Land–Battle–Konzepts im Rahmen einer US–Vorwärtsverteidigungsstrategie ein. Skeptisch wurde er, als Reagan, um seinen Traum einer Weltraumverteidigung SDI zu propagieren, erklärte, Kernwaffen seien unmoralisch. Reagan versetzte damit nach Ansicht Rogers der geltenden Doktrin der atomaren Abschreckung einen empfindlichen Schlag, obwohl doch klar sei, daß Atomwaffen den Krieg in Europa 40 Jahre lang verhindert hätten. Verdenken kann man es einem solchen Vollblutsoldaten wohl kaum, wenn ihn angesichts der jüngsten Kurswechsel beim Rüstungskarussell Schwindel befällt. Wird die doppelte Null–Lösung Realität, sind seine gesamten Bemühungen während der letzten Jahre umsonst gewesen. Entsprechend hält er die Beseitigung der Mittelstreckenrakten in Europa für einen schweren sicherheitspolitischen Fehler, weil das westliche Bündnis dadurch an Glaubwürdigkeit verliert. Die Denuklearisierung Europas mache den Westen erpreßbar. Er sei ja nur ein „tumber Infanterist“, aber er könne nicht einsehen, warum übereilte Entscheidungen nur aus dem Grunde durchgepeitscht werden, um einem angeschlagenen Präsidenten die Rettung seiner Laufbahn durch ein INF–Abkommen zu ermöglichen. An der Spitze der US–Administration gebe es einige „voreilige Nachgeber“, die in den Verhandlungen mit dem Warschauer Pakt Positionen übereilt aufgegeben hätten. Doch nun müsse eine Grenze gezogen werden: weder bei den 72 bundesdeutschen Pershing 1a noch bei den nuklearen Kurzstreckenraketen dürften weitere Zugeständnisse gemacht werden, bevor eine neue Einschätzung der strategischen Lage in Europa gefunden sei. Keiner seiner sieben Vorgänger als „Saceur“ hatte solch starken Tobak gegenüber der Politik seiner Regierung aufgefahren. Keinem wurde allerdings auch öffentlich von seinen Vorgesetzten der Vorwurf gemacht, den Kontakt zur politischen und strategischen Wirklichkeit verloren zu haben. Nichtsdestotrotz war sein Rezept simpel, geradezu von Reaganscher Logik: „Wenn unser Ziel eine stabile Weltordnung mit weniger Waffen und weniger Streitkräften ist, so müssen wir deren Zahl heute erhöhen, damit wir in Zukunft erfolgreich deren Verringerung aushandeln können“. Die Europäer haben seiner Meinung nach vor lauter Reichtum und Überfluß ein gestörtes Verhältnis zur Realität der sowjetischen Bedrohung. Es sei aber notwendig, Opfer zu bringen. Es müsse konventionell, chemisch und nuklear aufgerüsten werden, um der Übermacht des Warschauer Pakts etwas entgegenzusetzen. Seine Vorschläge wird er jetzt wohl wirklich in der Pfeife rauchen können. sf/mf

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen