Der lange Arm eines St. Pauli Bosses

■ In Costa Rica verhaftet: „Ringo“ Klemm, Zuhälter und Kiezwirt, der den Profi–Killer Werner „Mucki“ Pinzner zum Mord an Staatsanwalt Bistry angestiftet haben soll / Eine Entscheidung über eine Auslieferung ist noch nicht gefallen / Die Costa–Rica–Connection oder Die „deutsche Mafia“ lebt im Exil

Aus Hamburg Ute Scheub

Wird er ausgeliefert, wird er nicht ausgeliefert? Immer wieder machen Gerüchte über den am 12. Juni in Costa Ricas Hauptstadt San Jose verhafteten St. Pauli–Zuhälter „Ringo“ Klemm die Runde. Einmal hieß es, er sei schon wieder frei; ein anderes Mal meldete Bild, seine Freunde von der Reeperbahn, die schon vor Jahren in die mittelamerikanische Sonne geflüchtet sind, würden eine Million für seine Kaution sammeln. Die Hamburger Staatsanwaltschaft ist dennoch zuversichtlich, daß die Auslieferung wie geplant vonstatten geht. Der 40jährige „Ringo“ Klemm ist eine gewichtige Figur auf dem Hamburger Kiez. Mag der Name „Pate von St. Pauli“, den die hiesige Morgenpost ihm verpaßte, auch übertrieben sein - zumindest den elbseitigen Teil der Reeperbahn halte Klemm fest im geschäftlichen Griff. Die Bar „Chikago“ am Hans–Albers–Platz, wo Bürgermeister Dohnanyi, „Ringo“ und der Künstler Jörg Immendorf im letzten Jahr Seit an Seit die Einweihung des Immendorfschen Denkmals für den Volksschauspieler Albers feierten sowie diverse Beteiligungen an Absteigen sind nur der sichtbare Ausdruck der diversen Interessen des Kiezwirts. Als der Zuhälter „Waldi“ Dammer und seine Leute in „Ringos“ Reeperbahnseite einzudringen versuchten, man munkelt, es ging um Rauschgift, soll Klemm nach dem dringenden Verdacht der Staatsanwaltschaft den Bordellbesitzer Peter Nusser (“Wiener– Peter“) gebeten haben, den „St. Pauli–Killer“ Werner „Mucki“ Pinzner klar Schiff machen zu lassen. Pinzner und der Zuhälter Siegfried Träger sollen Dammer sodann Ostern 1985 in seinem Haus erschossen haben, wobei der zufällig Anwesende Lude Ralf Kühne gleich mit ins Grab genommen wurde. Der Prozeß gegen „Wiener–Peter“ als Pinzner–Anstifter, Siegfried Träger und den ebenfalls wegen Mordbeteiligung angeklagten Armin Hockauf beginnt im September. Doch wie nun der Spiegel enthüllte, soll „Ringo“ Klemms langer Arm nicht nur bis an die Schläfe von „Waldi“ Dammer, sondern auch bis an die Brust des Staatsanwalts Wolfgang Bistry gereicht haben. Angeblich gegen Zahlung einer lebenslangen Rente an Tochter Birgit soll der treusorgende Vater und Profi–Killer Pinzner, der im April 1986 verhaftet wurde, darin eingewilligt haben, Bistry mit in den Tod zu nehmen. „Mucki“ Pinzner, der vom Leben noch „lebenslang“ zu erwarten hatte, erschoß im Juli 1986 im Polizeipräsidium nacheinander den Staatsanwalt, seine Ehefrau Jutta und sich selbst. Zweimal 1.500 Mark lagen in „Ringo“ Klemms Eisbar „Chikago“ schon im Juni und Juli für Birgit bereit. Der Barinhaber soll nicht nur „Muckis“ Knarre besorgt, sondern auch mit seiner Anwältin Isolde Oechsle–Misfeld verabredet haben, sie „im Auftrag des Kiez“ ins Polizeipräsidium in die Hand des Killers zu schmuggeln. „Die schöne Anwältin“ soll außerdem „Ringo“ zuvor zur Zahlung von 40.000 DM erpreßt haben, andernfalls würde „Mucki“ dem Staatsanwalt Übeltaten erzählen - das ist die andere Version über die „Chikago“–Raten für Birgit. Doch was hier so amüsierlich klingt, ist in Wahrheit nicht nur ein blutiger Krieg um Macht und Profit im Dschungel der Städte, sondern auch eine Serie von unsauberen Geschichten, Pannen und Schlappen seitens der staatlichen Strafverfolger. Denn Pinzners „starker Abgang“ war auch deswegen möglich, weil er in der Untersuchungshaft wenig kontrolliert und dafür um so mehr protegiert wurde. Und als Gegenleistung fürs Auspacken gegenüber Staatsanwalt Bistry durfte er zum Beispiel seine Frau bei sich übernachten lassen und auf Staatskosten täglich das beste Essen aus Hamburgs Nobelhotel „Atlantik“ genießen. Die „schöne Anwältin“ Pinzner hui, Isolde Oechsle– Misfeld pfui: Um so rigider verfährt jetzt die Justiz mit seiner Anwältin, die „wegen Beihilfe zum Mord an Staatsanwalt Bistry“ in Lübecker Isolierungshaft sitzt. Ihre Anwälte berichten, sie esse nicht mehr, könne nicht mehr sprechen, selbst wenn sie wolle, und sei akut selstmordgefährdet. Erst vor kurzem lehnte das Hamburger Landgericht ihre Verlegung in ein Krankenhaus, wie es selbst die Anstaltsleitung fordert, wegen „Flucht– und Verdunke lungsgefahr“ erneut ab. Daß die Rechtsanwältin „tief in die Geschichten verwickelt ist“, wie es Peter Beck als Sprecher der Staatsanwaltschaft formuliert, kann nicht bezweifelt werden. So ist aus Journalistenkreisen zu vernehmen, daß sie die Exklusivgeschichte über den zuerst andernorts geplanten Freitod Pinzners gegen eine fünfstellige Summe an ein Presseorgan verkauft haben soll. Dennoch darf auch das kein Grund sein, die Frau derart in der Haft schmoren zu lassen Da wiederum erging es dem letzten großen Kronzeugen in der Pinzner–Affäre, dem Bordellier Gerd Gabriel, im Knast wesentlich besser. Er war es, der nach seiner Verhaftung im Frühjahr 1986 wegen irgendeiner Drogengeschichte gepfiffen und die Polizei überhaupt erst auf die Spuren Pinzners gebracht hatte. Gabriel kannte ihn gut und soll ihm ebenfalls schon einmal einen Mordauftrag erteilt haben. Um den Kronzeugen bei guter Laune und seine Geschäfte am Laufen zu halten, spielten Kriminalbeamte sogar den Kiez–Geldboten für ihn. Auf die Anklage wegen Beihilfe zum Mord wurde vorerst verzichtet. Andere Zeugen lebten beileibe nicht so gut beschützt. Vor wenigen Tagen wurde Bernd Wünsche in einer Kleingartenkolonie neben einem Komposthaufen sitzend tot aufgefunden. Wünsche kannte sowohl Pinzner als auch „Ringo“ Klemm und hatte gegenüber der Staatsanwaltschaft bereits ausgesagt. Selbstmord, sagt die Polizei, er sei schon länger depressiv gewesen. Die Angehörigen bezweifeln das - zu oft schon hatte der Kiez seine Rache an „Plaudertaschen“ blutig dokumentiert. Zur „Aktion Wasserschlag“ geriet der Polizei auch die Großfahndung nach Pinzners Hintermännern. Im Dezember 1986 türmte „Ringo“ Klemm filmreif über die Dächer von St. Pauli. Mit einem falschen Paß seilte er sich über mehrere Länder in die „Schweiz Lateinamerikas“ ab, wie Costa Rica aus gutem Grund in St. Pauli genannt wird. Denn die Geschäftstüchtigen und die Gesuchten haben sich dort seit Jahren ein neues Imperium gebaut. „Ringo“ fand Unterschlupf in Costa Rica, und zwar in einer Wohnung von „Hanne“ Klein, einschlägig bekannt als Wirt des Reeperbahn–Lokals „Zur Ritze“, der nun ein Verfahren wegen Verdacht auf Strafvereitelung am Hals hat. Erbaut wurde das Haus in San Jose von Günter Stumm, dort mehr oder weniger der Kopf des Hamburger Herrenclubs mit Damen. Stumm, „Hanne“ Klein und Klaus Busch, die miteinander die mittelamerikanische Sonne genossen, kannten sich aus einem gemeinsamen Unternehmen: Die Hamburger und Lübecker Sex– und Saunabetriebe „Sudfass“. Diese brachten den beteiligten Kommanditisten aber statt gutem Geld schlechte Schlagzeilen im Januar dieses Jahres ein, denn am Mordfall bereichern wollten sich auch Baudirektor Günther Schlage und sein Bauleiter Hans– Joachim Trzepanski aus Hamburgs Bauamt Nord. Die beiden gerieten außerdem in den Verdacht, sich bei Baugeschäften bestechlich gezeigt zu haben. Das Verfahren gegen Schlage wurde eingstellt, das gegen seinen Untergebenen läuft noch. Ebenfalls um wirtschaftliche Verfehlungen, diesmal um betrügerischen Bankrott, geht es bei Dieter Thieme, der auf Hamburgs berühmter Meile nicht nur gerne zockte, sondern auch türkische Leiharbeiter vermittelte. Thieme dürfte auch gute Beziehungen zum costaricanischen Staat haben, denn er hat die staatliche Lizenz für zwei Spielcasinos erstanden. Früher soll er den besten Nachtclub besessen haben, jetzt kann er die größte Discothek Costa Ricas sein eigen nennen. In der Bundesrepublik wird der Bankrotteur per Haftbefehl gesucht, aber in Mittelamerika ist er sicher, weil deswegen niemand ausgeliefert wird. Abtrünniger V–Mann Das gleiche nimmt wohl auch Ernst Bader für seine Person an - zu recht. Die Berliner Staatsanwaltschaft möchte ihn wegen Verdacht auf Steuerhinterziehung beim An– und Verkauf von Gold verhaften. Doch das schien bundesdeutsche Behörden - wieder eine Merkwürdigkeit - nicht davon abzuhalten, ihn als V–Mann auf die seltsame Szene in San Jose anzusetzen. Und der V–Mann geriet aus dem Ruder. Von seiner „Kontaktadresse“, dem hannoverschen Kriminalhauptmeister Heinz Müller über den Stand gewisser -allerdings nicht aus Hamburg stammender - Ermittlungen informiert, plauderte er diese angeblich munter aus. Nun haben sich die Ermittlungen auch gegen den Polizisten und seinen V– Mann gerichtet. Ernst Bader wird von der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe auch verdächtigt, sich geheimdienstlich betätigt zu haben. „Aber wir wissen nicht, ob da viel dran ist“, schränkt ihr Pressesprecher Prechtel ein, „die Costa–Rica– Gruppe schwärzt sich gegenseitig an.“ „Kavaliersdelikte“ sind das allemal, im Vergleich zu den Morden, die „Ringo“ Klemm von langer Hand geplant haben soll. Er soll auch mitschuldig sein an dem Tod seiner Freundin, die vor wenigen Tagen in San Jose ihren Verletzungen durch einen von „Ringo“ verursachten Unfall erlag.