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Schuldenkapitalisierung: Ausverkauf der Schuldnerländer

■ Investoren kaufen von Gläubigerbanken Schuldtitel mit Abschlägen und erhalten darauf in den Entwicklungsländern Binnenwährung für Investitionszwecke ausgezahlt / Sie müssen aber auch harte Dollars mitbringen / „Debt Equity Swap“ bringt jedoch auch Inflationsgefahren

Aus Montevideo Gaby Weber

Seit kurzem geistert durch die argentinische Presse ein Gespenst. Es hört auf den Namen „Kapitalisierung der Auslandsschulden“ und steht im Zusammenhang mit den spektakulären Wertberichtigungen US–amerikanischer Großbanken der letzten Wochen. Citibank, Chase Manhattan, Bank of America, die Boston, Norwest und andere Geldinstitute haben durch zusätzliche Risiko–Rückstellungen ihr Kapital massiv erhöht (wie es ihre deutschen Kollegen längst getan haben), um die nicht eintreibbaren Schulden der lateinamerikanischen Staaten als Verluste abschreiben zu können. Um nicht sämtliche Forderungen aufgeben zu müssen, zauberte die Citibank unter der Parole „Retten, was zu retten ist“ ein neues Kaninchen aus dem Zylinder: statt in harter Währung soll jetzt in Landeswährung gezahlt werden. Die Schulden sollen durch Umwandlung in Investitions–Kapital getilgt, sollen „kapitalisiert“ werden. Was in Chile, Mexiko und Brasilien bereits praktiziert wird, steht jetzt in Argentinien auf der Tagesordnung. Praktisch soll das so aussehen: Die Schuld–Titel der Banken werden zum Verkauf angeboten, nicht zum ursprünglichen Wert sondern weit darunter. Während zum Beispiel die bolivianischen Schuldscheine heute statt einem ursprünglich verliehenen Dollar nur noch ein paar Pfennige wert sind, spielen die argentinischen Wech sel noch 60 Prozent, und die uruguayischen, mexikanischen und philippinischen immerhin noch um die 75 Prozent der ursprünglichen Schuld ein. Käufer X kauft also von der Y–Bank einen Wechsel, mit dem er in Argentinien - jedenfalls auf dem Papier - eine Million Dollar eintreiben kann. Käufer X legt dafür 600.000 Dollar auf den Schalter der Y–Bank. Die Y–Bank verliert damit 40 Prozent ihrer eigentlichen Forderung (was sie jetzt durch die Erhöhung der Rückstellungen abschreiben kann), tröstet sich aber damit, wenigstens noch 60 Prozent der unsi cheren Außenstände erhalten zu haben. Mit dem Schuldschein läuft Herr X zur Zentralbank in Buenos Aires und erhält dafür Australes im Wert von einer Million Dollar - zu einem Kurs, der zwischen dem offiziellen und dem Schwarzmarkt liegt. Dieses Geld - so die Bedingung der Zentralbank - muß Käufer X im Land anlegen, er kann damit Boden, Fabriken, Ladenketten, Fluglinien und sonstige privatisierte Staatsbetriebe erwerben. Außerdem muß Käufer X eine Million Dollar in harter Währung als Startkapital für seine Investition mitbringen. Das tauscht ihm die Zentralbank zum selben Kurs um. Herr X betreibt damit das, was in der westlichen Geschäftswelt als „debt equity swap“ bezeichnet wird. „Der Vorschlag der Gläubigerbanken für die Kapitalisierung unserer Auslandsschulden ist nicht akzeptabel“, hatte noch im vergangenen Oktober Wirtschaftsminister Juan Vital Sourrouille verkündet. Doch nach den Wortbrüchen bei der Menschenrechtspolitik änderte die Regierung Alfonsin auf Druck der Gläubigerbanken auch in diesem Punkt ihre Meinung. Die neue Regelung wird als „Investitionsschub“ und „Zufuhr frischer Devisen“ der Öffentlichkeit verkauft. Schon im August soll sie in Kraft treten. Innerhalb der kommenden fünf Jahre sollen 1,9 Mrd. Dollar Schulden getilgt werden, das entspricht vier Prozent der Gesamtsumme. Bei den argentinischen Unternehmern stoßen die Pläne auf gespaltene Reaktionen: Der Ideologe und Meinungsmacher im Unternehmerverband, Vittorio Orsi, feiert die Kapitalisierung und die damit zwangsläufig verbundene Privatisierungs–Offensive. Die vorübergehenden Verluste würde der Staat durch die Steuereinnahmen und Steigerung des Bruttosozialproduktes wieder einspielen. Doch aus dem Unternehmerverband werden auch kritische Stimmen laut. Der Staat müsse verhindern, daß private Käufer staatliche Unternehmen mit der Auslandsschuld bezahlen können. Bislang gebe es noch kein Privatisierungs–Gesetz und es gelte, aus den chilenischen Erfahrungen zu lernen, wo Staatsbetriebe zu Spottpreisen an Ausländer verscherbelt worden sind. Viele Unternehmer fürchten, daß durch das Bezahlen der Schulden in Landeswährung die Inflation in astronomische Höhen schnellt. Um dies zu verhindern, könne die im Umlauf befindliche Geldmenge kaum erhöht werden, was wiederum zu einer Kürzung von Sozialprogrammen und zum Einfrieren von Krediten führe. Hauptkritikpunkt sind die Ausnahmen der neuen Regelung: Um die Schuldtitel zu 100 Prozent kapitalisieren zu lassen, kann Käufer X die geforderte Mitgift von frischen Dollars dadurch umgehen, indem er Maschinen, Know–how, Patente oder neue Kredite einführt oder schlicht „nationales Interesse“ vertritt. Die Kapitalisierung der Schulden wird in der Linken als „Kniefall vor den Gläubigerbanken“ kritisiert. „Sie als Investitionsprogramm zu bezeichnen, grenzt an Euphemismus“ - so die Wochenzeitung El Periodista. „Bestenfalls, im seltenen Fall, daß wirklich ein richtiger harter Dollar ins Land kommt, zahlt Argentinien für ihn jeweils zwei Dollar in Landeswährung.“ Den Schuldenstrategen aus den Gläubigerländern erscheint die jüngste Erhöhung des Kapitals der US–Großbanken zum Ausgleich ihrer Verluste heute als das kleinere Übel und markiert eine neue Etappe. Die Reagan–Administration muß ihr eigenes Handelsbilanzdefizit durch verstärkte Exporte verringern und kann es sich nicht erlauben, auf die Käufer aus den Entwicklungsländern zu verzichten. Durch die neu eingeführte Kapitalisierung der Schulden sollen gleich mehrere Probleme mit einer Klappe geschlagen werden: Es soll wenigstens ein Teil der Kredite getilgt werden, und den Schuldner–Ländern fließen neue Devisen zu. Mit ihnen können sie in den Industriestaaten einkaufen gehen. Die Kapitalisierung der Auslandsschuld ist also nicht zuletzt eine Exportförderung für die Industriestaaten.

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