piwik no script img

In Trincomalee sind die Gräben unüberwindbar

■ Teil 3 der taz–Serie über Tamilen und Singhalesen in Sri Lanka / Verwüstungen und wirtschaftlicher Niedergang im ehemaligen Zentrum des Tourismus Paramilitärische Bürgerwehren der Singhalesen machen die Gegend unsicher / Zunehmend verübt auch die Tamilen–Guerilla Überfälle auf singhalesische Siedler

Aus Trincomalee Walter Keller

Früher war sie eines der reizvollsten Gebiete in Sri Lanka: die Ostküste mit ihren weiten Stränden, dem dunkelblauen Meer und den Palmen. Fremde aus aller Welt kamen nach Nilaveli oder Kuchchaveli, kleine Küstenorte in Trincomalee, dem nördlichen Distrikt der Ostprovinz. Heute sieht man keine Touristen mehr in dem ethnisch gemischten Gebiet, in dem jeweils etwa ein Drittel Singhalesen, Tamilen und Moslems (“Moors“) leben. Wie im Norden Sri Lankas fallen auch in Trincomalee nahezu überall Verwüstungen ins Auge. Nördlich der Stadt gleichen Namens, entlang der Küste mit ihren vielen ehemaligen Touristenorten, sind zahlreiche Hotels zerstört. Viele entstanden erst Ende der siebziger Jahre, einige wurden von der tamilischen Guerilla in die Luft gesprengt, um zu verhindern, daß sich die Regierungssoldaten in den Häusern einnisten und militärische Stützpunkte errichten. Trotzdem hat die Armee den Distrikt mit einem dichten Netz von Lagern überzogen. Insgesamt sind es etwa 40, von denen die meisten im Radius von 15 km um die Stadt liegen. Touristen lassen sich nicht mehr blicken Der vollständige Zusammenbruch der Tourismusindustrie hat besonders die vielen kleinen Pensionen, die am früheren Boom Anteil hatten, getroffen. Selvaraja, tamilischer Besitzer eines „Guesthouse“ am Strand der Stadt, hate noch Anfang 1983 über 100.000 Rupien in den Ausbau seines Hau ses gesteckt, um zwei weitere Zimmer vermieten zu können. Damals ahnte er noch nicht, was auf diese Region zukommen sollte. „Es hat sich nicht gelohnt, ich habe heute einen Berg Schulden, die ich kaum zurückzahlen kann“, klagt er. Nur weil seine Frau vor kurzem eine Arbeit als Haushälterin in Kuwait bekam, kann er die vierköpfige Familie durchbringen und das aufgenommene Darlehen zurückzahlen. Selvaraja möchte keine Prognose stellen, wie es in Trincomalee weitergehen wird. „In der Stadt ist es seit einiger Zeit ruhiger geworden, aber auf dem Land gibt es nach wie vor viele Auseinandersetzungen.“ An den Erfolg der tamilischen Rebellen glaubt er spätestens seit der Großoffensive der Streitkräfte auf Jaffna nicht mehr. Eigentlich habe er immer bezweifelt, daß die Guerilla in der Lage sei, einen unabhängigen Tamilen– Staat im Norden und Osten Sri Lankas zu erkämpfen, meint er heute. Tatsächlich ist es in der Stadt zumindest an der Oberfläche ruhig. Im Bazaarviertel sitzen Straßenverkäufer vor zertrümmerten Häusern und bieten ihre Waren an. Die meisten Geschäfte sind geöffnet. Die Verwaltung, die hier trotz der Unruhen nie in dem Maße beeinträchtigt war wie im Norden, funktioniert. Tamilen gehen jedoch kaum zur Polizei, um ihre Beschwerden vorzubringen. Sie wenden sich eher an das Bürgerkomitee, die Kirche oder an eine Hindu–Organisation, die in Notfällen zu helfen versuchen. Polizei bewaffnet Singhalesen Nach 18 Uhr sind die Straßen in der Stadt menschenleer. „Nur Lebensmüde wagen sich noch nach draußen“, sagt ein Gesprächspartner. „Wir haben uns selbst eine Ausgangssperre auferlegt.“ Die Nacht gehört ausschließlich dem Militär, das auch tagsüber seine Präsenz zeigt. Wenn auch die Streitkräfte die Stadt und ihre Umgebung wieder kontrollieren, so kommt es doch in anderen Gebieten des Distrikts weiterhin zu schweren Auseinandersetzungen, die hier noch um eine Variante „reicher“ sind als anderswo. Neben den staatlichen Streitkräften gibt es in diesem Bezirk seit Ende 1984 noch die sogenannten „homeguards“. Besonders dort, wo singhalesische und tamilische Dörfer in unmittelbarer Nähe liegen, hat die Regierung diese Bürgerwehren eingesetzt und bewaffnet. Die insgesamt etwa 5.000 Mann - bis auf wenige Moslems alles Singhalesen - sollen die Dörfer „vor Übergriffen tamilischer Terroristen verteidigen“. Ihre Mitglieder wurden in Schnellkursen von der Polizei auf den paramilitärischen Dienst vorbereitet. Sie sind für zahlreiche Überfälle auf tamilische Dörfer, deren Bevölkerung vertrieben oder ermordet wurde, verantwortlich. Viele der Vertriebenen leben heute in Flüchtlingslagern. Nach Angaben der „Refugee and Rehabilitation Organisation“ (Flüchtlings– und Wiederaufbauorganisation) sind es derzeit etwa 15.000, die in Schulen, Kirchen und Tempeln in den Gebieten von Kuchchaveli, Kanniya und Muthur untergebracht sind. Schon auf der Fahrt von Mannar im Nordwesten Sri Lankas an die Ostküste hatte ich viele Mitglieder der „Homeguards“ gesehen, die mit ihren Gewehren entlang der Straße stehen, um Fahrzeuge und Personen zu kontrollieren. Einer von ihnen ist B.G. Gunaratne, den ich etwa 40 km vor Trincomalee–Stadt treffe. Der 20jährige, der vor einem Schlagbaum steht und jeden Pkw und Bus anhält, hat bis vor einem Jahr noch auf dem Reisfeld der Familie gearbeitet, bevor er zum „Homeguard“ ernannt wurde. Für seine Dienste erhält er von der Regierung monatlich umgerechnet 50 Mark. Die Polizei hat ihm ein Smith–and–Wesson–Gewehr (made in USA) ausgehändigt, das er stolz vorzeigt. Zwei Dörfer weiter erlebe ich dann hautnah das Schicksal, das zunehmend auch singhalesische Siedler erleiden. Am Ende des Dorfes Papdilawewa haben etwa 30 Familien unmittelbar an der Landstraße neue Lehmhütten gebaut. Ausgespannte Plastikplanen dienen als Dächer. Im Innern der ärmlichen Behausungen sitzen Frauen und bereiten das Mittagessen zu. Auch sie sind Flüchtlinge, kommen aus Morawewa, das 15 km entfernt in Richtung des Dschungels liegt. Ihr Dorf ist vor einigen Wochen von tamilischen Kämpfern überfallen worden, die immer häufiger das Vorgehen der Streitkräfte und Bürgerwehren direkt an singhalesischen Zivilisten rächen. „Wir wollen nicht mehr zurück“, sagt E. Dhanapala, einer der Siedler. Auch ihm und drei anderen Männern in der Siedlung hat die Polizei Waffen gegeben. Der Überfall, bei dem fast jede Familie ein Todesopfer zu beklagen hatte, sitzt ihm noch tief in den Knochen. „Ich weiß nicht, wo das alles hinführen soll“, sagt ein alter Mann. „Seit über 30 Jahren lebe ich schon in Morawewa. Jetzt liegen die Felder brach, hier hat die Regierung noch kein Land zur Verfügung gestellt.“ Was sie den ganzen Tag täten, will ich wissen. „Nichts, außer aufpassen“, sagt ein junger Mann und deutet auf die um die Siedlung herum angelegten Bunker. Darin versammeln sich die Männer in der Nacht, um das Gebiet zu beobachten und die Familien vor neuen Überfällen zu schützen. Friede wird in diesem Distrikt nur schwer wiederherzustellen sein. Die Polarisierung zwischen Tamilen und Singhalesen ist in Trincomalee nahezu perfekt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen