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Ein Bremer Jung–Neonazi darf sich bewähren

■ Mildes Urteil für FAP–“Führer“: Sechs Monate Jugendstrafe auf Bewährung für fahrlässigen Totschlag / Bei Schießübungen verblutete ein Jagdpächter an der Kugel des damals 19jährigen / Er wollte eine Wehrsportgruppe aufbauen

Aus Bremen Klaus Wolschner

Die Bremer Innenstadt war am Freitag nachmittag für einige Stunden Schauplatz für Neonazis und ihre militanten Gegner: Das Jugendschöffengericht Bremen verkündete das Urteil gegen Markus Privenau, den Bremer „Führer“ der kleinen örtlichen Neonazi–Szene. Bei Schießübungen auf einem Spülfeld hatte Markus Privenau einen Jagdpächter tödlich verletzt - das Urteil: sechs Monate auf Bewährung. Nach elf Verhandlungstagen, an denen sich der 21jährige Angeklagte auch wegen Parolen–Sprühens, unerlaubten Waffenbesitzes und Gaspistolen–Schüssen in einem Schwulen–Lokal verantworten mußte, drängten sich Neugierige, Gegner und Anhänger des Jung–Nazis im Gerichtsflur vor dem viel zu kleinen Saal. Unter SEK–Schutz wurde Markus Privenau in den Verhandlungssaal geleitet. Während seine Anhänger das milde Urteil auf dem Gerichtsflur mit Nazigruß feierten, liefen Gegner wütend und fassungslos aus dem Zuschau erraum heraus: „Das ist Aufforderung zu Straftaten, das Urteil“, rief einer dazwischen, und: „Das darf nicht wahr sein in einem demokratischen Staat.“ Die Urteilsbegründung wiederholte das Tatgeschehen: An jenem 2.Juni 1985 hatte Marukus Privenau die Vorderlader–Pistole seines Freundes ausprobieren wollen. Der Freund hatte mit einem ersten Schuß auf das Stämmchen eines Holunderbusches gezielt und auch getroffen, die Pistole neu geladen und Privenau übergeben. „Beidhändig mit erhobenen Händen“, wie der Richter betonte, habe der abgedrückt - und neben dem Busch einen Jagdpächter getroffen, der sich genähert hatte. Das sei „äußerst grob fahrlässiges Verhalten“, rechtlich „fahrlässige Tötung“, meinte der Richter. Der zur Tatzeit 19 Jahre alte Täter Privenau sei bisher nicht vorbestraft und deshalb nur auf Bewährung zu belangen, erläutere er den empörten Zuschauern das Jugendstrafrecht. Warum der Neonazi Privenau damals eine Pistole erwerben wollte, kam in der Strafzumessung nicht mehr vor: Gerade zwei Wochen aus der Untersuchungshaft entlassen, weil ihm die Brandstiftung in einem türkischen Ge müseladen nicht nachzuweisen war, hatte Privenau die Idee, eine Wehrsportgruppe aufzubauen. Er hatte sieben Karabiner bestellt und wollte die Gelegenheit ergreifen, die alte Vorderlader– Pistole von dem Freund - einem Schüler - zu erwerben. In dem Spülfeld, in dem sich normalerweise keine Menschen aufhalten, ließ er sich die Bedienung des Schießeisens erklären, erst gab der Freund einen Probe–Schuß ab, dann wollte der Neonazi auch mal schießen. Der Staatsanwalt hatte nach einer Ortsbesichtigung die Hypothese aufgestellt, daß Privenau sich erwischt gefühlt hatte und den nur 25 Meter entfernten Jagdpächter gezielt erschoß. Doch dafür ließ sich in dem Verfahren zwei Jahre nach der Tat kein hinreichendes Indiz mehr finden. Die Bremer Neonazi–Szene, die im wesentlichen aus Jugendlichen besteht, und einige sympatisirerende Skins hatten das Verfahren gegen den Maurerlehrling Markus Privenau, der sich mit dem Amt des „FAP–Landesvorsitzenden“ schmückt, zu mehrfachen demonstrativen Auftritten genutzt. Ihm selber war keine Äußerung darüber entglitten, ob es für ihn etwas zu bereuen gab oder ob er eher stolz darauf war, hier vom Staat als Gegner und eventuell Märtyrer „der Bewegung“ markiert zu werden. Sein scheinbar unbeteiligter, oft ein wenig belustigter Gesichtsausdruck auf der Anklagebank wirkte meist verlegen und unsicher. Ausführlich verlas das Gericht zum Schluß die Bewährungs–Auflage: Durch „gute Führung“ drei Jahre lang könne er den Straferlaß erreichen, erläuterte der Richter. Der Bewährungshelfer solle „auf die Probleme des Probanden eingehen und Lösungen anbieten“, in regelmäßigem Kontakt mit ihm stehen, „Aufsicht über die Lebensführung“ haben und jederzeit die Wohnung „des Probanden“ betreten dürfen. 600 Mark soll Markus Privenau in Raten an den Weißen Ring, eine Hilfseinrichtung für die Opfer von Straftaten, zahlen. Siehe Kommentar auf Seite 4

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