: Mit Giftkanonen gegen Fliegen
■ In Guatemala wird die Mittelmeerfliege, die Obstbäume befällt, mit Hilfe von Insektiziden bekämpft, die Bienen sterben lassen und zum Teil krebserregend sind / Unter dem Druck des US–Landwirtschaftsministeriums werden große Landflächen von Flugzeugen aus besprüht / Guatemala schon zu einem Drittel „befreit“
Von Barbara Schulte
Guatemala–Stadt (taz) - Das Laboratorium in San Miguel La Petapa, einem armseligen Dorf 20 Kilometer außerhalb von Guatemala–Stadt, ist von einer hohen Mauer umgeben. Das Tor wird erst nach einem bestimmten Hupsignal geöffnet. Drinnen sieht man Schäferhunde und Wachposten mit überdimensionalen Schießeisen am Gürtel. Es riecht wie in einer Brauerei nach Hefe und Gärprozessen. Hier ist das Forschungsgelände von „Moscamed“, der Zentrale zur Bekämpfung der sogenannten „Mosca Mediterranea“ (Mittelmeerfliege), die mehr als 200 Fruchtsorten attackiert und für den Export auf den US–Markt unbrauchbar macht. Diese Fliege bereitet den Experten einiges Kopfzerbrechen. 500 Menschen sind allein in Guatemala mit der planmäßigen Vernichtung dieser Fliege beschäftigt. Im Laboratorium in San Miguel produzieren sie wöchentlich 200 Millionen mit Gammastrahlen sterilisierte Fliegen, die in den befallenen Gebieten ausgesetzt werden und dort den Fortpflanzungszyklus unterbrechen sollen. Ursprünglich kommt die Mittelmeerfliege aus Europa. In den fünfziger Jahren dehnte sie ihren Wirkungsbereich nach Costa Rica aus und verbreitete sich von dort nach Zentralamerika und dem Süden der Vereinigten Staaten. 1981/82 verursachte sie den kalifornischen Obstanbauern Verluste von mehr als 100 Millionen Dollar. Die USA, die jährlich für viele Millionen Früchte nach Ja pan exportieren, wollten dem Treiben der Fliege nicht mehr länger zusehen und entwickelten ein Programm zur Vernichtung des Störenfrieds. Dieses Projekt namens „Capmed“, das US–Umweltschützer als „aufgeblasen und unnötig“ bezeichnen, plant die totale Ausrottung der Mittelmeerfliege in Zentralamerika bis 1995, Kostenpunkt 350 Millionen Dollar. Bienensterben Die Offensive begann in Mexiko und wurde siegreich beendet. Die kalifornischen Obstbauern konnten aufatmen, der südliche Nachbar war „sauber“. Das gegenwärtige Schlachtfeld Guatemala ist schon zu einem Drittel „befreit“, kann der Leiter des hiesigen Programms stolz mitteilen. Als jetzt allerdings bei den Sprühaktionen per Flugzeug, die den Hauptteil des Vernichtungsfeldzuges ausmachen, nicht nur die anvisierten Fliegen, sondern auch Tausende von Bienen zu Tode kamen, regte sich zum ersten Mal Widerstand gegen das Projekt, das in Guatemala seit mehr als drei Jahren mit den Insektiziden Malthion und EDB (Ethylen Dibromid) die Vernichtung der Mittelmeerfliege betreibt. Der Kongreßabgeordnete German Schell Montes reiste in seiner Eigenschaft als Präsident der Umweltkommission in den Südwesten des Landes nach Coatepeque und mußte dort festellen, daß die Bienenzüchter nicht übertrieben hatten. Er konnte die toten Bienen vom Boden aufschaufeln. Eine Autopsie ergab die eindeutige Todesursache: Vergiftung durch das Insektenvernichtungsmittel Malathion. Franz Hentze, Direktor von „Moscamed“, macht die Züchter für das Desaster verantwortlich. „Wir haben ihnen vor der Sprühaktion eindeutige Verhaltensanweisungen gegeben und ihnen die Planen bezahlt, mit denen sie ihre Bienenstöcke während des Sprühens bedecken sollen. Aber wenn sie sich nicht daran halten...“ Er zuckt mit den Schultern und beklagt sich über Uneinsichtigkeit und Sturheit der Menschen auf dem Land. Selbstverständlich würden die Züchter entschädigt. Aber im Grunde sei die Art und Weise, wie „Moscamed“ das Insektizid anwende, absolut ungefährlich. Für einen Hektar Land werden 100 ml 93prozentiges Malathion in einer Melasse aufgelöst, die angeblich nur Fliegen anlockt. Diese Lösung wird per Flugzeug in großen Tropfen über dem Feld verteilt. Außerdem, meint er, habe Guatemala durch die Fliege einen jährlichen Exportverlust von 25 Millionen Dollar. „Um mit unserem Obst– und Gemüseangebot auf den US– Markt zu kommen, müssen wir uns einfach am Moscamed–Programm beteiligen. Die mächtige Landwirtschaftslobby in den Vereinigten Staaten läßt es nicht zu, daß ihre Produkte von einer fahrlässig eingeführten Fliege in Gefahr gebracht werden.“ Deswegen werden alle Früchte vor dem Export zusätzlich noch mit EDB besprüht, einem äußerst wirkungsvollen Insektizid, das den eventuell noch vorhandenen Fliegeneiern den Garaus macht. EDB hat allerdings einen Nachteil: Es ist krebserregend. Die US– Umweltkommission hat seine An wendung in den USA 1984 wegen der hohen Toxizität verboten. Die Einfuhr von mit EDB behandelten Produkten ist noch bis zum September dieses Jahres erlaubt. Im April kam es in Sachen Mittelmeerfliege zu einer Anhörung vor dem Landwirtschaftsausschuß des US–Kongresses. David Wirth vom „Natural Resources Defense Council“ verglich den Kampf gegen die Fliege mit dem Versuch, ein Haus mit Hilfe einer Atombombe zu zerstören. Die Gefahr, daß das Insekt durch mittelamerikanische Produkte eingeführt würde, sei weitaus geringer, als daß sie aus dem US–Staat Hawaii nach Nordamerika komme. Er warf dem Landwirtschaftsministerium vor, das Projekt mit falschen Zahlen und ohne Untersuchung der möglichen Umweltschäden durchgeboxt zu haben. Die Gesamtkosten bis zur endgültigen Ausrottung der Fliege in Zentralamerika belaufen sich auf 350 Millionen Dollar. 174 Millionen sind allein für den Kauf von Malathion und EDB vorgesehen. Für 70 Prozent der Kosten will Washington aufkommen, den Rest sollte die Weltbank übernehmen. Die schätzt jedoch die Erfolgsaussichten des Projektes gering ein und die ökologischen Schäden hoch. Sie lehnte deswegen eine Finanzierung ab. Häufige Vergiftung Es gibt in Guatemala kaum ein landwirtschaftliches Erzeugnis, das nicht mit Malathion behandelt wird. Jetzt, in der Regenzeit, ziehen die Campesinos, einen Kanister mit der Lösung auf dem Rücken, auf die Felder und spritzen die jungen Pflanzen. Sie wissen selbst, daß sie Schutzmasken, Handschuhe und feste Schuhe tragen müssen. Aber wie sollen sie diese Ausrüstung, die etwa einen Tageslohn von umgerechnet knapp zwei Mark kostet, bezahlen? Sie sollten sich auch nach jeder Anwendung der Chemikalie waschen, aber die Fincas haben weder Duschen noch Kanalisation. So reinigen sie sich in den Wasserstellen, deren Wasser auch zum Trinken und Kochen verwendet wird und wo die Kinder spielen. Die Leute kennen die Anzeichen einer Malathionvergiftung: Schaum vor dem Mund, Augenreizungen, Atembeschwerden und Magenkrämpfe. Solche Symptome beobachtete auch die salvadorianische Menschenrechtskommission am 22.1.1980, als eine Demonstration von 300.000 Menschen in San Salvador vom Flugzeug aus mit Malathion aufgelöst wurde. Der Landwirtschaftsminister von Guatemala läßt sich in seiner Begeisterung für das „Moscamed“–Programm nicht irritieren. Schließlich seien alle Insektizide giftig, sagt der Christdemokrat Rodolf Estrada und macht eine Kosten–Nutzen–Rechnung auf: Guatemalas Landwirtschaft basiere auf den Monokulturen Kaffee, Zucker und Bananen. Preisschwankungen auf dem Weltmarkt brächten den Haushalt des ganzen Landes durcheinander. Deswegen solle jetzt das Angebot diversifiziert werden. Der Export von tropischen Früchten wie Mangos, Papayas und Kochbananen könnte eine Milliarde US–Dollar jährlich einbringen. Im Interesse einer Entwicklung des Landes müsse man Schäden in Kauf nehmen, meint der Politiker. Er hält es übrigens für absolut indiskutabel, das Programm für eine Untersuchung über die Folgen für die Umwelt zu unterbrechen, da das zu Schwierigkeiten mit Washington führen würde. Sein Vorgänger hat in dieser Richtung praktische Erfahrungen. Als der im Dezember 1985 laut über eine Aussetzung der Sprühaktionen nachdachte, bekam er umgehend einen Schuß vor den Bug. Das US–Landwirtschaftsministerium teilte ihm in diplomatischen Worten mit, daß ein solches Verhalten die Exportchancen Guatemalas auf dem US– Markt beeinträchtige. Wörtlich heißt es, die Vergiftung der Lebensmittel durch Malathion und EDB sei im Verhältnis zu den viel gefährlicheren Chemikalien, die beim Kaffeeanbau verwendet würden, unbedeutend. Für eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit sei ihre Verwendung dringend geboten... Franz Hentze von Moscamed, der von sich selbst sagt, er sei Ökologe, versteht die Aufregung nicht. „Was wir tun, ist doch im Grunde nichts anderes, als einen toten Hund mit einem vergifteten Stück Fleisch zu töten. Wo sehen Sie da die Gefahr für die Umwelt?“ Und wie geht es weiter, wenn die Mittelmeerfliege erst einmal ausgerottet ist? „Dann machen wir weiter. Es gibt mindestens noch 14 Fliegenarten, die den ungestörten Zugang zum US–Markt behindern.“ Es ist allerdings fraglich, ob seine Waffen dann noch Malathion und EDB heißen werden. Die Umweltkommission des guatemaltekischen Kongresses ist entschlossen, das Verbot dieser Mittel durchzusetzen.
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