: Aufregung um Volkszählungsfrage 12
■ Hannoveraner Verwaltungsgericht hält die Frage nach der Arbeitsstätte bei Selbständigen für unzulässig / Die verflixte Frage Nr.12 gefährdet die Anonymität / Innenministerium kündigt eine Beschwerde an
Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Selbständige, vom Rechtsanwalt über den Bäcker bis zum Taxi–Unternehmer, brauchen nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts in Hannover die Frage 12 des Volkszählungsbogens nach Name und Anschrift der Arbeitsstätte nicht auszufüllen. Diese Frage stehe bei Selbständigen nicht in Einklang mit der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Anonymität der Daten, urteilten die Hannoveraner Richter jetzt und gaben damit dem Antrag einer klagenden Rechtsanwältin statt. Schon im April hatte die taz auf die Problematik dieser „verflixten Frage 12“ aufmerksam gemacht. Wenn Selbständige Namen und Anschrift ihrer Arbeitsstätte eintragen, ist ein Rückschluß auf den Ausfüller des Bogens möglich, die geforderte Anonymität für die Katz. Da diese Frage weite Berufsgruppen betrifft, hatte man in den Statistischen Ämtern schon damals die Sorge vor einer Prozeßlawine geäußert. Eine niedersächsische Juristin hatte jetzt auch prompt mit ihren Bedenken Erfolg. Das Verwaltungsgericht Hannover gab ihrem Antrag auf aufschiebende Wirkung ihren Widerspruchs gegen die Ausfüllpflicht statt. Richter Köhler fand die Problematik von solcher „Brisanz“, daß er eine ausführliche juristische Prüfung vornahm und der Beschwerdeführerin in diesem Punkt recht gab. Die Volkszählung an sich sah das Gericht zwar nicht für bedenklich an, die Frage 12 sei jedoch für Selbständige verfassungsrechtlich nicht zulässig. Im niedersächsischen Innenministerium löste diese Entscheidung hektische Aktivität aus. „Das kann so nicht stehenbleiben. Es werden sich viele jetzt auf dieses Urteil berufen und eine Prozeßlawine lostreten“, sorgte sich der Pressesprecher des Innenmi nisteriums. Man habe deshalb die zuständige Erhebungsstelle aufgefordert, in die Beschwerde vor das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg zu gehen. Das OVG Lüneburg teilte gestern mit, man habe bisher einige Beschwerden von Selbständigen abschlägig beschieden. Wohl zur Abschreckung einer zu erwartenden Prozeßlawine kündigte das OVG als äußerst ungewöhnliche Maßnahme für heute eine Presseerklärung an, in der es klarstellen will, daß man in Lüneburg die Rechtsauffassung der Hannoveraner Verwaltungsrichter nicht teile. Verwaltungsrichter Köhler zeigte sich davon gestern unbeeindruckt. Man habe sich sehr intensiv mit der Sache auseinandergesetzt und hoffe, die nächst höhere Instanz in Lüneburg zu überzeugen. (AZ 10 VG d 161/87
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