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Abgehakt

■ Das Urteil im Tschernobyl–Prozeß

Die Sündenböcke sind geschlachtet. Im Prozeß gegen die sogenannten Verantwortlichen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat das Gericht die Angeklagten mit seinem harten Urteil endgültig zu den Schuldigen des Super–GAUs gemacht. Die Unschuld der (Atom–)Technik fordert die Schuld der Menschen. Der Prozeß in Tschernobyl konnte von keinem einzigen westlichen Journalisten verfolgt werden. Was wirklich in der Nacht zum 26. April 1986 im Reaktorblock IV passiert ist, wird für alle Zeiten im Dunkeln bleiben; die Aussagen von Ingenieuren und Kraftwerksleitung über den tatsächlichen Unfallablauf durfte kein Journalist mitanhören. Gestört hat das niemanden. Der Prozeß über den schwersten Industrieunfall der Menschheitsgeschichte hat hierzulande nicht mehr Interesse gefunden als die Schwangerschaftsprognosen für Lady Sarah. Das Aussperren der westlichen Presse hat bis heute keinen Protest provoziert. Auch die Internationale Energie–Agentur, die nach dem Super–GAU eine wahre Orgie an Transparenz versprochen hatte, stationierte keinen Prozeßbeobachter in Tschernobyl. Die Aufmerksamkeit für den Prozeß erreichte ein Ausmaß, als würde über einen Kaufhaus–Dieb zu Gericht gesessen. Und jetzt das Urteil, die Akte wird geschlossen. Weltöffentlichkeit und sowjetische Behörden haben sich längst auf ihre Version des Unfallhergangs geeinigt. Widersprüche, Einzelheiten, die Dramaturgie dieser Nacht, der verzweifelte Kampf gegen die außer Kontrolle geratene Technik wollte niemand unseren Köpfen zumuten. Tschernobyl ist vorbei, Geschichte, niedergeschrieben, abgehakt, reduziert auf die pflichtschuldige Krokodilsträne zum Jahrestag. Manfred Kriener

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