Wo bleibt die Solidarität?

Berlin (taz) - „Keine Verbindung“, bestätigt der Vertreter des Internationalen Metallarbeiterverbandes (IMB) in Genf. Seit rund vier Wochen befinden sich die 10.000 mexikanischen VW– Arbeiter im Streik. Und die Internationale der Metallarbeiter hat es in dieser Zeit nicht fertiggebracht, eine Verbindung zu den Streikenden aufzunehmen, geschweige denn wenigstens ein Solidaritätstelegramm nach Puebla zu schicken? Tatsächlich bestätigen alle Gewerkschafter, die eigentlich für den Kampf der mexikanischen VW–Arbeiter Interesse (wenn schon keine Leidenschaft) zeigen müßten, daß es keinerlei Verbindungen zur mexikanischen VW– Gewerkschaft gibt - ganz anders übrigens wie bei anderen großen VW–Zweigwerken. VW–Wolfsburg hat im Moment Werksferien, und folglich gibt es im Büro des Gesamtbetriebsrats nur eine Telefonwache. Es ist aber bekannt, daß die Verbindungen zur VW–Betriebsgewerkschaft in Puebla seit Jahren abgerissen sind, und mehrere Versuche, sie wiederzubeleben, gescheitert sind. In der IG–Metall–Zentrale in Frankfurt gibt man sich verstimmt: Seit die mexikanischen VW–Gewerkschafter 1972 die allgemeine mexikanische Metallgewerkschaft verlassen hätten, sei eine Zusammenarbeit nicht nur nicht zustandegekommen, sondern von den Mexikanern offenbar auch nicht gewollt. Die Mexikaner hätten Einladungen nach Deutschland, zum Beispiel zur VW–Konferenz in Wolfsburg im letzten Jahr, nicht wahrgenommen, nicht einmal abgesagt. Ein Engagement der IG Metall beim derzeitigen Arbeitskonflikt komme alles in allem nicht in Frage, zumal die IGM offizielle Kontakte zur mexikanischen Metallgewerkschaft unterhalte, nicht aber zu den abgespaltenen Betriebsgewerkschaften. Die streikenden VW–Arbeiter in Mexiko können also kaum auf Solidarität der deutschen VW–Gewerkschafter, der IG Metall oder des IMB hoffen. Diese unterhalten ihre „offiziellen“ Beziehungen zur mexikanischen Dachgewerkschaft CTM. Die VW–Gewerkschafter aber haben sich schon 1972 von der CTM losgesagt, um eine radikale, die Basis mobilisierende gewerkschaftliche Betriebspolitik zu verfolgen. Auf diese Weise sind die VW–Arbeiter von Puebla zu einer kampfstarken Belegschaft geworden. Aber dennoch sind die Vorbehalte beim IMB und bei der IG Metall nicht ganz grundlos. Bei den Mexikanern gibt es die Neigung, die deutschen Belegschaftsvertreter und auch Metallgewerkschafter vorschnell mit dem Konzern zu identifizieren. Auch das von den Mexikanern praktizierte Rotationsprinzip für die zentralen gewerkschaftlichen Gremien erschwert kontinuierliche Kontakte: Weil es ein Wiederwahlverbot für das betriebliche Exekutivkomitee gibt, rücken alle drei Jahre neue, unerfahrene Leute an die Spitze der VW–Gewerkschaft. Dies soll zwar die Herausbildung einer Betriebsoligarchie verhindern, führt aber nach einer Untersuchung des Erlanger Soziologen Ludger Pries in Verbindung mit der „Paralysierung oder gar Entlassung ehemaliger Funktionäre zu einem permanenten Aderlaß gewerkschaftlichen Erfahrungswissens“. Auch Pries bestätigt, daß sich hinter den betrieblichen Gremien schon seit Jahren eine Oligarchie um den Rechtsanwalt Ortega Arenas herausgebildet hat, der offensichtlich wesentlichen Einfluß auf die Auswahl der ständig wechselnden Mitglieder des betrieblichen Exekutivkomitees nimmt und die gewerkschaftlichen Fäden in der Hand hält. Martin Kempe