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Pferdeäpfel für den Frieden

■ Aktion „Reiten für den Frieden“ im Sommer 87: Die taz–Reporterin Ute Winsemann ritt mit vom Panzer–Übergang Bollen–Ahausen bis zur US–Kaserne Garlstedt / Friedenskampf mit „Hoppe, hoppe Reiter, Rüstung hilft nicht weiter“

Von Ute Winsemann

Irgendwo ein paar Kilometer vor Bremen: Schon seit Stunden fällt ein leichter Nieselregen. Auf einer Wiese nahe dem geplanten Panzer–“Ersatzübergang“ über die Weser bei Bollen–Ahausen rüsten 15 ReiterInnen sich und ihre Pferde zum Aufbruch. „Kannst du mal mein Pferd halten? Ich muß noch mal.“ Einige haben sich aus Butterbrotpapier Schablonen gerissen, durch die sie mit weißem Pferdewund–und violettem Blau– Spray Friedenstauben und das Atomwaffengegner–Zeichen auf Schultern und Backen der Pferde sprühen. Die Pferde werden aufgetrenst, die Sättel festgezurrt, eine Stute mit ihrem Fohlen in einen bereitstehenden Pferdeanhänger bugsiert. Die ReiterInnen werfen die Regenponchos über und rücken ihre zerknautschten Lederhüte zurecht. „Alle drauf?“ Der Ritt geht los. Ein älteres Ehepaar wünscht „Gute Reise!“ Das erste Stück des Weges liegt an einer Landstraße. Als ein Laster die Gruppe überholt, schert ein Pferd nervös zur Seite aus. Die Hufe scharren über den Asphalt, daß die Funken stieben. Nach einer Weile biegen die ReiterInnen ab und lassen die Pferde über den Naturdeich traben. Ein Hund, der bisher auf dem Pferd seiner Besitzerin mitreiten durfte, hetzt nun mit hängender Zunge und wehenden Ohren den Pferden voraus durch das Gras. Auf einer Weide am Deich stehen fünf Kühe. Staunend über die Karawane vor ihren Augen kommen sie an den Zaun gelaufen, das Schauspiel von nahem zu betrachten. Um ja nichts zu verpassen, staken sie sogar noch durch einen kleinen Teich auf die nächste Weide. Auch Kinder am Wegesrand laufen begeistert ein Stück mit. „Pferde sind geil!“ brüllt ein kleiner Junge im Brustton der Überzeugung. Sein Freund ist da etwas mißtrauischer: „Beißt der?“ Die, die da durch Tag und Wind reiten, gehören zu der bundesweit inzwischen rund 200 AnhängerInnen zählenden Initiative „Reiter/ innen für den Frieden“. Seit 1984 reitet sie jeden Sommer zwei Wo chen lang rund 400 Kilometer durch die (west–)deutschen Lande, um zusammen mit örtlichen Initiativen für Frieden und Abrüstung zu demonstrieren. Die Idee zu dieser Initiative entstand bei einigen friedensbewegten Freizeit–ReiterInnen, die sich seit 1981 auf der „Blumen für Stuckenbrock“–Gedenkfeier trafen. Als ReiterInnen stießen sie in Wald und Flur ständig auf Zäune von Militärsperrgebieten und wollten daher ihren persönlichen Ärger auch zusammen mit ihren Pferden demonstrieren und so ihr Hobby politisch nutzen. Die Menschen begegnen ihnen auf ihren Ritten durchweg freundlich, erzählen die ReiterInnen. Sie haben die Erfahrung gemacht, daß sich über die Pferde leichter Gespräche anknüpfen lassen als bei „normalen“ Demos mit den abschreckenden Transparenten. „Dieses Jahr haben wir sogar einmal auf dem Hof eines CDU–Stadtrates übernachtet“, berichtet ein Friedensreiter. Nach rund drei Stunden Ritt sind die ReiterInnen im Bremer Stadtteil Buntentor angekommen. Dort treffen sie mit dem Planwagen zusammen, der die Tour über den Deich nicht mitmachen konnte. Unterstützt von einigen FußgängerInnen und stolzen BesitzerInnen von Drahteseln formiert sich ein Demonstrationszug zum Marktplatz. Am Wagen hängt ein Transparent „Panzer zu Planwagen“. Der Friedenskampf hinterläßt eine deutliche Spur: grünbraune Pferdeäpfel in unregelmäßigen Abständen. Auf dem Marktplatz angekommen, singen die ReiterInnen zu den Klängen eines Jagdhorns „Hoppe, hoppe Reiter, Rüstung hilft nicht weiter“. Während Kinder eine Runde um den Marktplatz reiten dürfen, begrüßen Klaus Jakubowski vom Bremer Friedensforum und Bürgermeister Henning Scherf (“tolle Idee“) die friedensbewegten Freizeit–ReiterInnen. Almuth Sieben, Friedens–Reiterin, erklärt die Truppe zur „Friedensbewegung auf dem Lande zum Anfassen“. Abends wurden die ReiterInnen sogar im Rathaus empfangen, bevor die Zelte im Stadtwald bezogen wurden. Am Sonnabend ging der Friedensritt 87, der am 17. Juli im westfälischen Werl begonnen hatte, mit einer Kundgebung, auf der eine Reiterin eine Grußadresse an den US–Soldaten Peter Kress verlas, der kürzlich seinen Dienst quittiert hatte, und einem Fest vor einer US–Kaserne zu Ende.

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