: Die EG - Ein Modell für die afrikanische Wirtschaft?
■ Zum Vorschlag des neuen Präsidenten der Organisation Afrikanischer Einheit (OAU), eine Wirtschaftsgemeinschaft zur Sanierung der lädierten Ökonomie einzuführen
Von Jürgen Schulz
Der neue Präsident kam mit einem alten Hut. Kaum war Kenneth Kaunda auf der Sitzung der „Organisation Afrikanischer Einheit“ (OAU) in Addis Abeba zu deren neuem Chef gewählt worden, steckte er die Zukunftsperspektiven ab. Bis zum Jahr 2000, so der sambische Präsident, könnte eine afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft dem Kontinent Wohlstand und Reichtum bescheren - und dem verhaßten Apartheid–Regime in Südafrika das Ende. Die Europäische Gemeinschaft als Vorbild für Afrika? Ein Traum, den die schwarzafrikanischen Staaten schon häufig hatten und ebensooft wieder ad acta legen mußten. Denn die Staaten im südlichen Afrika, an die Kaundas Appell vornehmlich gerichtet war, sind nicht im entferntesten mit dem Euromarkt zu vergleichen. Bestand zwischen den späteren EG–Teilnehmern bereits vor Gründung des gemeinsamen Marktes eine ausgeprägte industrielle Arbeitsteilung, so kennzeichnet eine facettenreiche Heterogenität den Status Quo im Süden Afrikas. „Die afrikanischen Staaten sind im kapitalistischen Sinne nur unvollkommene Nationalstaaten mit entsprechend ungesicherten Klassenverhältnissen“, beschreibt der Politologe Fank Seelow die dort herrschenden Verhältnisse. Es mangelt allerorten an Massenproduktionen unter optimaler Kapitalverwertung, den sogenannten „economies of scale“, wodurch ein kapitalistischer Reproduktionsprozeß verhindert wird. Die Staatengebilde wiederum sind - aufgrund der willkürlichen Grenzziehung durch die Kolonialherren - ethnisch, religiös, sprachlich, politisch und wirtschaftlich gespalten. In der Region herrscht eine historisch gewachsene Mono–Exportproduktion vor, die die einzelnen Länder auf dem Weltmarkt zu Konkurrenten werden läßt. Der Afrika–Experte Rolf Hochmeier urteilt angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftsstrukturen in diesen Staaten, „daß deren Volkswirtschaften in vieler Hinsicht erhebliche Ähnlichkeiten aufweisen und in sofern eher in einer konkurrierenden als in einer komplementären Beziehung zueinander stehen; dies ist zweifellos eine Erschwernis für eine weitgehende wirtschaftliche Integration, die nur bei einer gegenseitigen Ergänzung für alle Seiten von Vorteil sein kann“. Von einer regionalen Integration, wie sie Kaunda vorschwebt, kann vorläufig keine Rede sein. Schon allein deshalb nicht, weil es selbst innerhalb eines Landes himmelweite Unterschiede gibt zwischen arm und reich, Industrialisierung und Subsistenzwirtschaft. Das einzig Einigende besteht momentan in der Ablehnung gegenüber Pretoria. Und selbst da klaffen beträchtliche Lücken. Die Antipathie–Skala reicht von Angola und Botswana, auf deren Territorium weiße Südafrikaner Jagd auf SWAPO–Kämpfer machen, bis zu Malawis autoritärem Herrscher Hastings Banda, der diplomatische Beziehungen zur Republik Südafrika pflegt und dafür zum „Ehrenweißen“ ernannt wurde. Die Südafrikaner können diese Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“ getrost weitertreiben, ohne vor wirtschaftlichen Rückschlä gen durch ihre schwarzen Nachbarn Angst haben zu müssen. Denn die Anrainer sind von den Häfen rund um das Kap der Guten Hoffnung abhängig. Hier werden die immens wichtigen Einfuhren, von der Technologie bis zum Getreide, umgeschlagen und über das bestausgebaute Verkehrsnetz Afrikas in die feindlichen Nachbarländer gebracht, dem „natürlichen Markt“ der Republik Südafrika. Die Abhängigkeit vor allem der Frontstaaten gegenüber der Republik am Kap ist mithin enorm groß. Botswana, Lesotho und Swaziland gehören sogar zum Zollgebiet der Pretorianer, über das südafrikanische Produkte jederzeit Zugang finden könnten zu den Märkten der um Emanzipation kämpfenden OAU–Mitglieder. Viele Arbeitsimmigranten, die in ihrer Heimat keine Anstellung fanden, schuften überdies in südafrikanischen Unternehmen. Sollte das Rassisten–Regime, aufgeschreckt durch die Politik seiner Nachbarn, diese Arbeitskräfte ausweisen, kämen die Auswandererländer in größte soziale Schwierigkeiten. Dennoch, so aussichtslos wie sich die Lage darstellt, ist die Vision Kaundas auch wieder nicht. Versuche in der jüngsten Vergangenheit, beispielsweise die „Southern Africa Development Coordination Conference“ oder bilaterale Handelsabkommen zwischen Tanzania einerseits, Mozambique und Zambia andererseits, haben in ihren Anfängen „eine erhebliche Dynamik entwickeln können“ (Rolf Hochmeier). Das Hauptaugenmerk, so die - zumeist europäischen - Fachleute, sollte demnach auch künftig auf einer behutsamen Aufhebung der intraregionalen Handelsbarrieren sowie der Dezentralisierung von Planungs– und Entscheidungsabläufen liegen. Sie befürchten nämlich, daß durch eine überstürzte Zusammenarbeit bereits bestehende strukturelle Ungleichgewichte verstärkt würden. Konkrete Ansatzpunkte für ein gezieltes Förderprogramm bilden die Sektoren Transport, Verkehr, Energie, Nachrichten– und Fernmeldewesen sowie Management, in denen ganz erheblicher Nachholbedarf herrscht. Erst wenn die Infrastruktur steht, könnte eine regionale Investitionspolitik greifen, - unter Vermeidung von „Doppelproduktionen“ - die die spezialisierte Arbeitsteilung vorantreiben würde. „Eine erfolgreiche regionale wirtschaftliche Zusammenarbeit“, schreibt Frank Seelow im Afrika Spektrum, „erfordert eine klare gemeinsame Absprache aller teilnehmenden Regierungen.“ Gerade darin liegt aber das Dilemma. Die Vergangenheit zeigt, daß schwarzafrikanische Politiker, die stets auf innenpolitischen Machtbeweis bedacht sein müssen, lieber kurzfristige nationale Erfolge verbuchen als diese längerfristigen Zielen der Gemeinschaft unterzuordnen. Dies dürfte in erster Linie bei der Frage „ausländische Investoren - ja oder nein?“ zum Vorschein kommen, wenn sich eine afrikanische Gemeinschaft formiert hat. Bislang war den Staatsmännern der profitable, kapitalistische Rock noch immer näher als das solidarische, antiimperialistische Hemd.
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