: I N T E R V I E W Die Friedensbewegung kann zerfallen
■ Friedensforscher und Mitglied der Grünen–Bundestagsfraktion Alfred Mechtersheimer zu den französischen Plänen, die Neutronenbombe in der BRD zu stationieren und die Perspektiven des deutsch–französischen Verhältnisses
taz: Die Bundesregierung hat die Vorschläge der ehemaligen französischen Verteidigungsminister Hernu und Messmer zur Stationierung der Neutronenbombe in der BRD als „absoluten Blödsinn“ abgetan. Währenddessen kämpft sie um den Erhalt anderer taktischer Atomwaffen, nämlich der Pershing 1A. Wie ist die Haltung der Bundesregierung noch zu erklären? Alfred Mechtersheimer: Die Äußerungen von Hernu und Messmer kamen der Regierung denkbar ungelegen, zu einer Zeit, in der sie sich darauf vorbereitet, auf die Pershing 1A zu verzichten. Es gibt in der Union bisher keine geschlossene Haltung darüber, wie man langfristig auf die Veränderung der Verhältnisse reagiert. Da herrscht eine totale Konfusion. Wer befürwortet heute in Regierung und Opposition die deutsch–französische Atomstreitmacht? Das sind nicht mehr nur die alten Gaullisten in der CDU/CSU. Das sind viele Frustrierte in der Union, die sich in ihrer Liebe zu den USA betrogen fühlen. Die Stärke dieser Gruppe ist schwer einzuschätzen, aber sie ist im Wachsen begriffen. Darüberhinaus gibt es auch in der SPD eine Mehrheit, die immer schon die deutsch–französische Rüstungskooperation befürwortet hat, wenn auch nur konventionell. Ich hoffe, daß die SPD nun begreift, daß man keine deutsch–französische Sicherheitspartnerschaft ohne die nukleare Komponente betreiben kann. Hier, so meine ich, entscheidet sich an der SPD, und nicht an der CDU, ob derartige Entwicklungen weiter gehen. Die Friedensbewegung hatte möglicherweise die Kraft, die herkömmliche Sicherheitspolitik zu entlegitimieren. Möglicherweise fehlt ihr nun die Kraft, Scheinantworten zu verhindern. Die Mehrheiten, die wir in der BRD gegen SDI, gegen Nachrüstung, gegen eine Fortsetzung des Wettrüstens schon haben, zerfallen, wenn es um die Frage deutsch– französischer Kooperation geht. Im deutsch–französischen Spannungsfeld hat sich die Friedensbewegung bisher schwer getan. Wie kann die Friedensbewegung in einen Dialog mit einem Frankreich treten, für das Hernu und Messmer verteidigungspolitisch repräsentativ denken? Wir müssen die oppositionellen Kräfte in Frankreich ermutigen. Sie befinden sich augenblicklich in dem Findungsprozeß, in dem wir in der BRD vor zehn Jahren waren. Sie sagten kürzlich, „eigentlich geht es gar nicht um Raketen, sondern um die deutsche Frage“. Da würde man Ihnen, glaube ich, auf französischer Seite spontan zustimmen. In Frankreich gibt es einen parteiübergreifenden Konsens im alten Denken. Altes Denken heißt: Die Sowjetunion ist der Feind und Frieden geht nur mit Rüstung. Selbst bei den französischen Grünen (“Les Verts“) ist dieses Denken stark vertreten. Nur durch intensive Kooperation können wir diese Vorstellungen vom angriffswütigen Rußland abbauen. Wir müssen das neue Denken nach Frankreich bringen. In Frankreich stellt man sich die Frage: Was passiert mit der Bundesrepublik angesichts der europäischen Veränderungen? Da fürchtet man, daß die Bundesrepublike mit der Sowjetunion eine Verständigungsallianz finden könne, wobei das auch die Annäherung der beiden deutschen Staaten bedeute, und dann letzten Endes die russische Grenze am Rhein sei. Man opfert sogar die französische militärische Souveränität, die man gegenüber den USA so stark verteidigt hat, um zu verhindern, daß die Bundesrepublik aus französischer Sicht abdriftet. Interview: Georg Blume
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