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Achtung, Ritual!

■ Thema Massenarbeitslosigkeit in monatlichen Pressekonferenzen des Bundesarbeitsamts

Das Ritual der monatlichen Pressekonferenzen des Arbeitsamtschefs Heinrich Franke ist ein exakter Gradmesser für geglückte Verdrängung, für erfolgreiche Regierungspolitik also. Die besteht nicht im Einlösen von Wahlversprechen, sondern darin, unangenehme Tatsachen der politischen Öffentlichkeit zu entziehen. Der Erfolg des Herrn Franke besteht darin, das Problem Arbeitslosigkeit durch ständige Wiederholung auf ein zur Kurzmeldung reduziertes Signal aus dem Reich der Statistik heruntergebracht zu haben. Statistik ist bekanntlich wertfrei, so wertfrei und unbeeinflußbar wie Naturkatastrophen und Konjunkturzyklen - eben Schicksal für die, die als Einzelfälle in die Statistik eingehen. Das sind jetzt fast 80.000 mehr als im Vormonat, 45.000 mehr als letztes Jahr um diese Zeit. Und irgendwie liegt ja auch eine Wahrheit darin: Tatsächlich geht es schon längst nicht mehr um das Auf und Ab der Konjunktur, weil die Massenarbeitslosigkeit seit Jahren zwar im Abschwung steigt, während des Aufschwungs aber auch nicht sinkt. Im Moment stehen die Zeichen eher auf Abschwung. Wer die Massenarbeitslosigkeit aus der Kurznachrichtenspalte herausholen will, muß den Versuch unternehmen, das Problem zu politisieren. Damit ist Herr Franke offensichtlich überfordert. Aber alle anderen, die Gewerkschaften, die Arbeitsloseninitiativen, die Parteien werden nicht umhin können, Konzeptionen für einen gesellschaftlichen Umbau zu entwickeln, der mehr ist als Konjunkturpolitik. Eine Gesellschaft, in der alle einer für sie befriedigenden Arbeit nachgehen, gibt es nur jenseits des tagespolitischen Pragmatismus, der gegenwärtig auch die Diskussion in der Opposition prägt. Martin Kempe

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