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Press-SchlagPassi statt Platini

■ Der neuen französischen Nationalelf fehlt der Inspirator

Es konnte einem schon wehmütig ums Herz werden, als der Mann im blauen Trikot mit der Nummer 10 auf dem Rücken sich sorgfältig den Ball zum Freistoß zurechtlegte. Nicht mehr Michel Platini steckte in dem Hemd, das er ein Jahrzehnt lang mit Bravour und Anstand durch die Strafräume der Welt getragen hatte, sondern Gerald Passi aus Toulouse. Der dunkelhäutige „neue Platini“, wie der 23jährige in Frankreich mit einer ordentlichen Portion Wunderglauben genannt wird, wußte, was er seiner Rückennummer schuldig war. Den berühmten Platini–Effet bekam er zwar nicht ganz hin, aber immerhin wuchtete er das Leder mit solcher Vehemenz auf das deutsche Tor, daß dessen Hüter Eike Immel schon einen ganzen langen Arm benötigte, um es noch über die Querlatte zu lenken. Ansonsten tänzelte Passi ähnlich elegant wie sein Vorgänger über den Rasen, pflegte den guten alten Hackentrick und bemühte sich redlich, sein Team aus der Desolation des Anfangs herauszureißen. Ersetzen konnte er den Ruheständler Platini nicht, von dem Barcelonas Trainer Terry Venables beim Spiel der Weltelf gegen eine englische Auswahl unlängst geschwärmt hatte: „Er war wundervoll. Ein absoluter Künstler.“ Passi fehlt bisher vor allem eines: das Auge - der Blick für die Situation, das Gespür für den idealen Moment zum entscheidenden Abspiel, zum torheischenden Sprint in den gegnerischen Strafraum. Ein Schicksal, das er mit all seinen Mitspielern teilt. Wo früher das schnelle, effektive Kurzpaßspiel des Mittelfeldtrios Platini, Giresse und Tigana (der sich inzwischen auch lieber seinem Weingut im Medoc widmet, als in den Lücken des französischen Mittelfeldes zu herumzubüßen) die Kontrahenten verwirrte, wird heute lediglich Klein–Klein gespielt und dem Prinzip der Zufälligkeit gehuldigt. Niemand ist in der Lage, Ruhe ins Spiel zu bringen, wie sich in der Phase der Desorientierung, in den ersten zwanzig Minuten, beschämend deutlich zeigte. Gelingt tatsächlich mal ein vielversprechender Angriff, legen die Franzosen die Zielstrebigkeit einer verirrten Waldameise an den Tag. Aber der gelungene Torschuß gehörte ja noch nie zu ihren Tugenden, sieht man einmal mehr von Platini ab. Schon in Mexiko war der Zauber des französischen Spiels weitgehend verflogen. Dem letzten Höhenflug des Viertelfinales gegen Brasilien folgte die peinliche Vorstellung im Halbfinale gegen Deutschland, Platini schimpfte mehr, als daß er spielte, seine Ideen stießen meist auf Unverständnis. Nun gibt es nicht mal mehr Ideen im französischen Team, aber was nicht ist, kann durchaus bald werden. Auch Michel Platini wurde nicht an einem Tag zum Künstler, und die technische Versiertheit der jungen Spieler sowie die unverkennbaren Talente des Gerald Passi lassen Trainer Henri Michel mit Fug und Recht optimistisch in die Zukunft blicken. Die Tradition der WM– Halbfinalspiele BRD–Frankreich könnte 1990 in Italien durchaus ihre Fortsetzung finden. Und vielleicht gewinnt diesmal sogar der Bessere. Matti

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