: Heftiges Urteil für Vobo–Aufruf
■ Pilotverfahren in Detmold: Erstmals Bußgeld wegen Aufrufs zum Boykott / 800 DM Strafe für Kontaktperson auf Flugblatt, das zum Volkszählungsboykott aufrief / Oberstaatsanwalt erschien höchstpersönlich
Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Zum ersten Mal in der Bundesrepublik hat am Dienstag in Detmold ein Gericht ein Bußgeld wegen des Aufrufs zum Volkszählungsboykott verhängt. Mit 800 Mark, was seinem gesamten Monatseinkommen entspricht, soll der arbeitslose Frank B. dafür büßen, daß sein Name als Kontaktadresse auf einem Flugblatt der ost–lippischen Vobo–Initia stand. Das Detmolder Urteil gilt als Pilotverfahren gegen Volkszählungsboykotteure, denn bisher gab es nur Bußgeldbescheide, die von den örtlichen Rechts– oder Ordnungsämtern ausgestellt waren. Die Bedeutung dieses Verfahrens schien auch der Detmolder Justiz klar zu sein, denn - für Ordnungswidrigkeiten wohl einmalig - der Oberstaatsanwalt war höchstpersönlich als „Ankläger“ erschienen. Nach eineinhalbstündiger Verhandlung entschied Amtsrichterin Nünning, daß Frank B. durch die bloße Angabe seines Namens als Kontaktadresse als Verantwortlicher für das beanstandete Flugblatt anzusehen sei. In den Sätzen: „Nur durch den totalen Boykott werden die Daten der Volkszählung nutzlos. Totaler Boykott heißt die unausgefüllten Bögen ohne Nummer bei den Sammelstellen der Volkszählungsinitiativen abzugeben“, sah die Richterin einen Aufruf zum Volkszählungsboykott, und der, so meinte sie, sei nun einmal eine Ordnungswidrigkeit. Juristische Bedenken und Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zählung, die Frank B.s Anwalt ausführlich vorgebracht hatte, wollte die Richterin nicht gelten lassen. Mit der für eine Ordnungwidrigkeit extrem hohen Geldbuße von 800 DM blieb die Detmolder Richterin nur 400 DM unter dem Bußgeldbescheid, das die Stadtverwaltung Frank B. vor einigen Wochen zugeschickt hatte. Frank B. wird gegen diese Entscheidung in Beschwerde vor das Oberlandesgericht Hamm gehen. Allein in Detmold stehen noch 50 weitere Bußgeldverfahren wegen des Aufrufs zum Volkszählungsboykott an. Die Stadt hatte im Vorfeld der Zählung mächtig um sich geschlagen und so z.B. die gesamte Kreistagsfraktion der Grünen und den Vorstand der Grünen mit Bußgeldern bis zu 2.000 Mark bedacht, weil die Grünen presserechtlich verantwortlich zeichneten für eine Zeitung, in der nach Meinung der Stadt zum Boykott aufgerufen worden war. Nach dem Urteil in Detmold wird heute auch ein Berliner Amtsgericht über die Frage der Ordnungswidrigkeit beim Aufruf zum Volkszählungsboykott entscheiden.
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