: Mauer–Proteste in Ost–Berlin
■ Erstmals Demonstration gegen die Berliner Mauer in der DDR / Etwa 300 Menschen zogen in der Nähe des Brandenburger Tors durch Ost–Berlin / Festnahmen durch die Volkspolizei / Proteste auch in West–Berlin
Berlin (ap/dpa/taz) - Erstmals ist es zum Jahrestag des Mauerbaus in der DDR zu einer Protestdemonstration gekommen. Am Donnerstag abend nahmen etwa 300 Menschen an einer Demonstration auf der Straße „Unter den Linden“ nahe des Brandenburger Tors teil. Augenzeugenberichten zufolge riefen sie: „Die Mauer muß weg“ und „Berlin, Berlin“. Auch der Ruf nach Gorbatschow wurde laut. Zur selben Zeit hatten sich rund 50 Menschen, darunter ehemalige DDR–Bürger, auf West–Berliner Gebiet am Brandenburger Tor versammelt, deren Sprechchöre gegen die Mauer auch auf östlichem Gebiet zu hören waren. Auf Ost–Berliner Gebiet kam es während der Demonstration zu mehreren Festnahmen durch die Volkspolizei. Die direkt an der Mauer entlangfüh rende Otto–Grothewohl–Straße wurde am späten Abend gesperrt. Gewarnt durch die Pfingstkrawalle, befand sich die Ost–Berliner Polizei bereits den ganzen Tag über in einer Art Alarmzustand. Während der Demonstration hielt sich die Volkspolizei allerdings auffallend zurück. Die Demonstranten waren offenbar in kleinen Gruppen aus der DDR– Provinz nach Ost–Berlin gekommen. Die vorwiegenden Dialekte seien Sächsisch und Thüringisch gewesen, berichteten Augenzeugen. Die meist jungen Leute hätten zunächst nicht den Eindruck gemacht, mit dem Vorsatz einer Demonstration an die Mauer gekommen zu sein. Auch sei nicht erkennbar gewesen, daß es Absprachen unter den Gruppen gegeben habe. Fortsetzung auf Seite 2 Die Situation habe sich erst nach und nach entwickelt, auch Alkohol habe dabei eine Rolle gespielt. Bereits gegen 18 Uhr war es zu ersten Versammlungen gekommen, ohne daß dabei Zwischenfälle auftraten. Kurz vor Mitternacht zog der größte Teil der Demonstranten ab. Nach Angaben von Augenzeugen waren an der Demonstration viele Personen beteiligt, die Anträge auf eine Ausreise in den Westen gestellt hatten. Doch auch ein paar Punks und Skinheads hätten bei der Mauer–Demo mitgemischt. Auf West–Berliner Gebiet verübten kurz nach Mitternacht drei Männer einen Brandanschlag auf die Mauer. Die Täter wurden auf frischer Tat ertappt. Am Checkpoint Charlie schritt die Polizei gegen etwa 50 West–Berliner Demonstranten ein, die Steine und Getränkebüchsen in Richtung Mauer und DDR–Grenzposten warfen. DDR–Grenzposten bildeten eine Kette, um zu verhindern, daß die Demonstranten auf Ost– Berliner Gebiet vordrangen.
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