Die Emscher - einst ein Fluß, heute Abfluß

■ Die Jaucherinne des Ruhrgebietes wird totgeschwiegen / Seit 90 Jahren ist in Castrop erstmals eine Bürgerinitiative aktiv Streit um niederländische Studie, nach der die Emscher tonnenweise Schwermetalle in den Rhein schwemmen soll

Von Petra Bornhöft

Castrop–Rauxel (taz) - Eine Randerscheinung im Süden des Ruhrgebietes verlieh der Region ihren Namen. In keinem Werbeprospekt der Revierpropagandisten fehlen malerische Aufnahmen von der Ruhr. Nirgendwo gibt es indes einen Hinweis auf das geheime Wahrzeichen der Industrielandschaft: die Emscher. Begradigt und auf 77 Kilometer verkürzt, quält sich der tote Fluß mit dem ätzend–fauligen Aroma zwischen Dortmund und Duisburg mitten durch das Ruhrgebiet. Vollgestopft mit Chemikalien und Abwässern von 2,4 Millionen Menschen, Industriebetrieben und Gemeinden versetzt die Emscher nach dem Klärwerk Dinslaken dem Rhein einen schweren Schlag. Seine „Gewässergüte“ sinkt nach der Emschermündung um eine Stufe ab. „Vor drei Jahren begann es, extrem zu stinken. Abends konnten wir nicht mehr draußen sitzen“, berichtet Marion Meiritz, deren Reihenhaus in Castrop–Rauxel an den eingezäunten „Emscherstrand“ grenzt. „Trotz verrammelter Fenster wachten wir nachts auf. Und das ist bis heute so geblieben.“ Nach Gesprächen mit Nachbarn startete die 30jährige Bürokauffrau eine Unterschriftensammlung. Über die Lokalzeitung stieß sie auf Gleichgesinnte. Schnell war man sich einig: „Da muß wat passieren. Man weiß ja nicht, wat man da allet einatmet.“ So gründete sich der Verein „Menschen an der Emscher“. Seine Forderung: „Die Emscher darf nicht länger zum Himmel stinken.“ „Die Geruchsbelästigung - je nach Standort und Wetter fühlt man sich entweder in einen Abfalleimer getaucht, in eine Autowerkstatt, Kokerei oder einen Gulli eingepfercht - ist nicht das einzige Problem der rund 5.000 Anwohner in Castrop. „Manchmal standen wir bis zur Brust in der Emscher–Brühe“, erinnert sich Werner–Jan Schmidt (28) an Kindheitstage in der Zechenkolonie. Wenn die Kloake hinterm Garten über ihre Ufer getreten war, dauerte es tagelang, bis die Familie den Schlamm von den Wänden gekratzt hatte. Solche Überschwemmungen sind heute selten geworden. Deiche, mancherorts von Schafen gepflegt, umklammern das Abwasser. Zwischen Gelsenkirchen und Herne Zwo etwa, wo das bergbaugeschädigte Umland um 24 (!) Meter abgesackt ist, werden die Deiche gerade von sechs auf zehn Meter erhöht. Solche Baumaßnahmen führt die Emschergenossenschaft aus. Nachdem sich Zechen– und Stahlbarone sowie die Städte entschlossen hatten, den Fluß in ein Abwasserbecken zu verwandeln, über trug ein preußisches Sondergesetz von 19o4 der Genossenschaft „die Regelung der Vorflut und Abwässerreinigung im Emschergebiet“. Heute zählt der Verband 354 Bergwerksgesellschaften, Betriebe und Kommunen zu seinen Mitgliedern, die nach einem komplizierten Rechensystem ihren Obulus für den Dreck leisten. Welche giftige Fracht die Emscher mit sich führt und in den Boden sickern läßt, versucht die Castroper BI seit einem Jahr herauszufinden - vergeblich. „Die Emschergenossenschaft hält uns hin und die Behörden schicken uns von Pontius zu Pilatus“, faßt Werner–Jan Schmidt die Erfahrungen von zehn Aktiven zusammen. Auch die Stadtverwaltung Castrop verweigerte dem Verein die vorher zugesagte Einsichtnahme in das Einleiterkataster. Verstärkten Gestank - bedingt durch beschleunigte Fäulnisprozesse als Folge verminderter, kohlehaltiger Bergbauabwässer - räumte die Emschergenossenschaft mittlerweile ein. Sauerstoffzuführung und eine für die Neunziger Jahre geplante Kläranlage in Dortmund sollen Abhilfe schaffen. Keinen Anlaß für Aktivitäten sieht die Genossenschaft indes hinsichtlich der giftigen Schadstoffe. Im Gegenteil, sie werde nicht müde, auf Hochglanzpapier zu verbreiten, „daß die Emscher fast so klar in den Rhein mündet, wie sie bei Holzwickede entspringt“. Begeistert schwärmt Dr. Kalbskopf, Leiter der Kläranlage Dinslaken, von „ganz phantastischen Schadstoffwerten, die noch unterhalb der Anforderungen für Trinkwasser liegen“. Immerhin plätschern in einem Liter der an der Mündung geklärten Soße noch 40 mg Ammoniak und organischer Stickstoff, 2 mg Nitrat/Nitrit, 4,6 mg Tenside, 2,1 mg Phenole, 4,2 mg Phosphor und bis zu 0,87 mg Schwermetalle. Diese Angaben der Emschergenossenschaft sind jedoch nach ei ner Studie des „International Centre of Water Studies“ (IWCS) im Auftrag der Stadt Rotterdam stark in Zweifel zu ziehen. Nach Untersuchungen des Amsterdamer Institutes schwemmt die Emscher tonnenweise Schwermetalle in den Rhein: 94,5 Jahrestonnen (JT) Kupfer, 63 JT Chrom, 22, JT Zink und 12,6 JT Blei. Dr. Kalbskopf dazu: „Absolut falsch und wissenschaftlich unhaltbar.“ Mit der gegenwärtig vorbereiteten Stellungnahme wird der Streit, bei dem es auch um den IWCS–Vorwurf geht, die Emscher sei „ein schlimmer PCB–Einleiter“, nicht beendet sein. Im nächsten Jahr wird das IWCS die „kleine Schwatte“ und ihre Kunden erneut unter die Lupe nehmen, denn die Stadt Rotterdam will die Verursacher des Sondermülls auf dem Boden des Rheins an den Kosten für die Beseitigung beteiligen. Neue Analysen und mithin Scherereien drohen der Emschergenossenschaft auch aus Castrop– Rauxel. Diese Woche hat die BI Kontakt mit der Uni Dortmund aufgenommen, die Gewässerproben nehmen soll. „Wir trauen den Werten der Genossenschaft nicht. Da muß ein neutrales Institut ran“, begründet Werner–Jan Schmidt den Schritt der Gruppe, deren vorrangiges Ziel eine Beseitigung des Gestanks und die kontrollierte Einleitung von Abwasser ist. Gegen die von der Genossenschaft geltend gemachten Kosten hält die BI 4,5 Mio. jährliche Betriebskosten für drei Peroxid–Anlagen, in denen die Emscher mit Sauerstoff begast wird, „ohne daß der Gestank merklich zurückgegangen und ohne daß die chemischen Reaktionen mit dem Giftwasser bekannt sind“. Unterstützung erhält die BI bisher nicht sehr viel. „Die meisten Leute wohnen hier seit 30 Jahren, klemmen sich die Nase zu und sagen: Ihr könnt nix ändern“, klagt Frau Meiritz. Wie zur Bestätigung antworten mir in der Breslauer Straße drei alte Männer fast gleichlautend: „Dat stinkt schäbbich anne Ämscha, aber da jewöhnzze Dich dran.“ An die „Köttelbecke“ des Ruhrgebiets gewöhnt haben sich auch die Grüne Partei und profilierte Umweltschützer. Statt gewünschte Auskünfte zu erteilen, verwies kürzlich der „Arbeitskreis Wasser“ im BUND–Nordrhein–Westfalen den Castroper BUND–Vorsitzenden ausgerechnet an die Emschergenossenschaft: „Vielleicht finden Sie da ja einen netten Menschen, der gewillt ist, nach Feierabend mit ihnen ein Bier zu trinken.“ Kontaktadresse der „Menschen an der Emscher“: Werner–Jan Schmidt, Breslauer Straße 30, 4620 Castrop–Rauxel, Tel.: 02305–85620