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Südafrika: Die wichtigsten Minen fest im Streik

■ Vom Büro der Bergarbeitergewerkschaft NUM aus werden die Streiks koordiniert und Verhandlungen mit den Konzernleitungen fortgeführt / Dieser Streik könnte Wende in der Geschichte Südafrikas zur Folge haben

Von Hans Brandt

Johannesburg (taz) - „Augenblick mal!“ Der Mann im gelb– schwarzen Trainingsanzug der Bergarbeitergewerkschaft NUM hält den Arm vor die Tür. „Wo ist dein Presseausweis?“ Ich krame ihn hervor und der als „Ordner“ gekennzeichnete Wächter ver schwindet damit in den NUM–Büros. Seit im Mai das Gebäude der Gewerkschaftsföderation COSATU von einer Bombe fast zerstört wurde, kommt niemand mehr ohne weiteres in die Gewerkschaftsbüros. Das gilt auch für die Schaltzentrale des größten Streiks in der südafrikanischen Geschichte. „Ihr Presseleute macht mich ganz verrückt“, beschwert sich die Telefonistin Ntsiki, während ich auf Marcel Golding, den stellvertretenden NUM–Generalsekretär und Pressesprecher warte. - „Immer nur Marcel. Wenn er nicht hier ist, ruft ihr alle fünf Minuten wieder an.“ An einer Trennwand hängen Solidaritätstelegramme aus aller Welt, insgesamt etwa 50. Auch die IG Bergbau und Energie versichert dem NUM–Generalsekretär Cyril Ramaphosa ihre Unterstützung für die Forderungen nach besseren Lohn– und Arbeitsbedingungen. Doch die Botschaft ist eher trocken im Vergleich zum Lob für den „heroischen und historischen Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung“ der südafrikanischen Kumpel, das die marokkanische Gewerkschaftsföderation geschickt hat. Die Un terstützung des ANC für die NUM wird hier nur indirekt durch eine Agenturmeldung aus Lusaka, der Hauptstadt Sambias, bekanntgegeben. Während ich die Telegramme lese, kommt Marius aus der NUM–Informationsabteilung vorbei. „Kannst du Französisch?“ fragt er. Ich helfe ihm, die fünf oder sechs französischen Texte zu übersetzen. Aus der Dritten Welt sind überraschend wenig Solidaritätsbotschaften gekommen. Statt dessen überwiegen die von skandinavischen, amerikanischen und internationalen Dachverbänden. Marius Schreibtisch ist mit Zeitungen, NUM–Publikationen und internen Memos vollkommen zugedeckt. Er kann sich im Augenblick nicht hinsetzen. Hinter ihm haben COSATU–Generalsekretär Jay Naidoo und sein Stellvertreter Sydney Mafumadi die Köpfe zu einem kurzen Gespräch zusammengesteckt. Daneben tickert der Fernschreiber, und eine Sekretärin tippt einen Brief an die NUM–Rechtsanwälte auf dem Teletex–Bildschirm. Hier hört jeder mit, was der andere gerade sagt. Ntsiki, die Telefonistin, ruft laut über die Trennwände, für wen Anrufe angekommen sind. Neben dem Streik müssen Tarifverhandlungen in anderen Bergwerken und Gerichtsverfahren weitergeführt werden. Auf der anderen Seite der Trennwand spricht ein Gewerkschaftsarzt mit einem Arbeiter über Verletzungen, die Kollegen bei Zusammenstößen mit der Polizei erlitten haben. In der jüngsten Ausgabe der internen Streiknachrichten, die Marius gerade verteilt, wird der Streik bei der halbstaatlichen „Nuclear Fuels Corporation“ (Nufcor) westlich von Johannesburg angekündigt. In dem Werk, in dem nukleare Brennstoffe für Südafrikas Atomindustrie hergestellt werden, sind am Dienstag mehr als 100 Arbeiter in den Ausstand getreten, nachdem Tarifverhandlungen erfolglos blieben. Die Arbeiter wurden unter dem Hinweis auf „Sabotageakte in anderen Industriezweigen in letzter Zeit“ von der Geschäftsleitung ausgesperrt. Im Laufe des Streiks müssen sie vier Rand pro Tag für ihre sonst kostenlose Unterkunft zahlen. Endlich hat Marcel für mich Zeit. „Wie gehts?“ frage ich. „Müde.“ seufzt er. Wie viele seiner Kollegen, darunter auch Ramaphosa, schläft er nachts hier auf dem Teppichboden im Büro. Seine Decke hängt über der Stuhllehne, dahinter ein Handtuch, ein paar frische Hemden. In der Ecke eine Tüte mit Lebensmitteln. „Das Ultimatum beim Landau Kohlebergwerk ist bis Mittwoch verlängert worden“, sagt er. „Ich muß jetzt noch Anglo American anrufen, um auch bei der Vaal Reefs Goldmine eine Verlängerung des Ulitmatums zu erreichen.“ Die beiden Bergwerke haben mit der Schließung und Entlassung der Arbeiter gedroht, wenn der Streik dort nicht beendet wird. Sie können angeblich die durch den Streik verursachten Verluste auch kurzfristig nicht verkraften. Das Telefon klingelt. „Streikposten sind illegal“, erklärt er einem Anrufer aus Europa. „Eine Streikkasse gibt es auch nicht. Das ist auch illegal. Aber im Augenblick haben wir mit der Versorgung noch keine Probleme.“ Allerdings, so erklärt er mir dann, ist die Versorgung mit Lebensmitteln in den Wohnheimen der Bergarbeiter zum Teil sehr gespannt, so daß die Arbeiter die Küchen der Minengesellschaften besetzten. Die noch immer laufenden Verhandlungen mit Anglo American, dem größten Bergbaukonzern, über die Kontrolle gewalttätiger Auseinandersetzungen drehen sich vor allem um die Situation in den Wohnheimen. „Die Verhandlungen gehen am Nachmittag weiter“, sagt er. Die NUM hat eigene Forderungen vorgebracht, darunter eine Zusage der Arbeitgeber, daß sie die Polizei nicht zu Hilfe rufen werden. „Dieser Streik könnte eine Wende in der südafrikanischen Geschichte zur Folge haben“, betont Marcel. „Die wichtigsten Bergwerke haben wir fest im Streik. Jetzt geht es darum, weitere Bergwerke hinzuzugewinnen.“ Er vermutet, daß die Arbeitgeber sich dieses Jahr entschlossen haben, die lang erwartete Konfrontation bis zum Letzten zu wagen, weil die NUM seit ihrer Gründung explosiv gewachsen sei. „Dieses Jahr haben wir mehr als 300.000 Mitglieder“, sagt er. „Nächstes Jahr wären es vielleicht noch 100.000 mehr gewesen. Aber entschuldige mich jetzt. Ich habe noch ein wichtiges Treffen.“ Am Eingang klingelt immer noch das Telefon. „Marcel Golding ist im Augenblick nicht zu sprechen“, sagt die Telefonistin. „Kann ich ihm etwas ausrichten?“ Spendenkonto für die Streikenden bei der Alternativen Liste Berlin: Michael Prütz, Konto–Nr. 610 14 8001, Sparkasse der Stadt Berlin West (BLZ 100 500 00)

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