: Heß–Sohn schürt Legendenbildung
■ Wolf–Rüdiger Heß und Anwalt Seidel halten Selbstmord für unmöglich / Gefängnischef spricht von vier Selbstmordversuchen / Lochte befürchtet Neonazi–Anschläge auf alliierte Einrichtungen
München/Berlin (dpa/ap) - Wolf–Rüdiger Heß, der Sohn von Rudolf Heß, bezweifelt mit allem Nachdruck, daß sein Vater Selbstmord begangen habe. Über den Münchner Anwalt Alfred Seidel ließ er erklären, während seiner Haft in Spandau habe Heß niemals an Selbstmord gedacht oder sich entsprechend geäußert. Auch Seidel hält einen Selbstmord für unwahrscheinlich. Nach dem jetzigen Wissensstand sei das Elektrokabel, mit dem Heß Selbstmord begangen haben soll, nirgends befestigt gewesen. Jeder Gerichtsmediziner könne bestätigen, daß ein Selbstmord mit einem freien Kabel um den Hals ein aussichtsloser Versuch sei. Der Hamburger Gerichtsmediziner Dr. Manfred Kleiber vom Universitätskrankenhaus Eppendorf erklärte zum Hintergrund, Selbstmorde durch Erdrosseln seien selten. Die Hamburger Gerichtsmediziner haben nach Angaben von Kleiber unter insgesamt 15.000 Obduktionen in einem Zeitraum von zehn Jahren sieben Fälle von Selbsterdrosselung nachgewiesen. Unter den sieben Menschen, die sich selbst erdros selt hatten, waren drei Männer und vier Frauen. Die Männer waren zwischen 83 und 85 Jahre alt, darunter hatte sich einer mit einem Elektrokabel umgebracht. Der Kraftaufwand sei hierbei gering, sagte Kleiber. Der ehemalige amerikanische Direktor des Spandauer Kriegsverbrechergefängnisses, Eugene Bird, sagte in Berlin, Heß habe in seiner 46jährigen Gefangenschaft vier Selbstmordversuche unternommen, den ersten nach seiner Gefangensetzung 1941 in England. Der Präsident des Hamburger Verfassungsschutzes, Christian Lochte, befürchtet nach dem Tod des Hitler–Stellvertreters Rudolf Heß Anschläge von Neonazis auf alliierte Einrichtungen. Neonazis hätten häufig betont, daß im Falle des Todes von Heß irgend etwas geschehen werde. Sie hätten in Heß nicht so sehr den Stellvertreter von Adolf Hitler gesehen, sondern „die Verkörperuung des Besatzungsrechts“, sagte Lochte dem Privatsender SAT–1.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen