: Hungerstreik, um Mensch zu bleiben
■ Im Berliner Frauengefängnis Plötzensee sind fünf Frauen aus dem Haus für Drogenabhängige im Hungerstreik / Sie wehren sich gegen schikanöse Kontrollen und Zwangstherapie / Senat bleibt bislang hart / Zahlreiche Unterstützungsaktionen „drinnen und draußen“
Mit der Aussicht auf bessere Vollzugs– und Resozialisierungsbedingungen hatte der Berliner Senat jahrelang den Neubau eines Frauengefängnisses begründet und vorangetrieben. Seit zwei Jahren steht sie nun, die „modernste Haftanstalt Europas“, die Frauenvollzugsanstalt Plötzensee. Doch von besseren Haftbedingungen merken die Frauen bisher relativ wenig. Ausgestattet mit völlig überdimensionierten Sicherheitsstandards stehen Sicherheit und Ordnung hier an erster Stelle. Aus Protest gegen für sie unerträgliche Haftbedingungen, weil „wir keine andere Möglichkeit mehr sehen, uns gegen die hiesige Entmenschlichungsmaschinerie zur Wehr zu setzen“, sind vor zwölf Tagen erstmals fünf strafgefangene Frauen in einen unbefristeten Hungerstreik getreten. 27 Mitgefangene haben aus Solidarität aber auch aus eigener Betroffenheit einen dreitägigen Hungerstreik durchgeführt. Damit sind immerhin rund ein Viertel der gefangenen Frauen an der Protestaktion beteiligt. Doch der Berliner Senat zeigt sich unbeeindruckt. Er ist nicht bereit, auf irgendeine Forderung der Frauen einzugehen. Im Haus V der Haftanstalt sind die drogenabhängigen Frauen inhaftiert - von dort geht der Hungerstreik aus. Für sie gelten be sondere, und das heißt, besonders restriktive Haftbedingungen. Sie werden von den anderen Gefangenen isoliert, dürfen Besuche nur mit Trennscheibe oder in Gegenwart einer Beamtin empfangen, Post und sämtliches Lesematerial wird kontrolliert und zensiert, ihre Telefonate werden abgehört. Schließlich müssen sie sich, so die Frauen in einer Erklärung, einem „entwürdigenden Urinkontrollprogramm und dazugehörigem Seelenexhibitionismus bei zugestandener Vollzugslockerung“ unterziehen. Konkret fordern die Frauen die Aufhebung der beschriebenen Zensur– und Kontrollmaßnahmen, „freie Entscheidung über das wie und mit wem Zusammenleben innerhalb des Knastes“ und „die Aufhebung der Iso– und Ghettohaft“. Daß die Frauen ihre Forderungen mit dem Mittel des Hungerstreiks durchzusetzen versuchen, erklären „sie schon allein aus den Möglichkeiten, die wir hier haben bzw. nicht haben. Strategien wie Zuckerbrot und Peitsche haben leider längst so eingeschlagen, daß z.B. Aktionen wie Arbeitsniederlegung, Einschlußverweigerung, Bambulen, Boykotte oder kleine Sabotageakte kaum noch drin sind, d.h. wenn, dann nur noch individuell, im Sande verlaufend.“ „Entweder man explodiert oder läßt sich sein Rückgrat rausziehen - was die ja bezwecken“, beschreibt Susanne, die vor zwei Wochen aus der Frauenhaftanstalt entlassen wurde, die Situation dort. Obwohl der Vollzug schon immer von Sicherheits– und Ordnungsdenken geprägt war, sei „die Schraube seit einiger Zeit er heblich angezogen worden“. Zum Beispiel würden neuerdings „wegen lächerlicher Vorfälle laufend Meldungen“ gegen Frauen gemacht, wegen Beamtenbeleidigung etwa. Die Folge der Meldungen: Disziplinarverfahren gegen die Frauen und dann Maßnahmen wie Einschluß und Einkaufssperren. Opfer einer solchen Zwangsmaßnahme wurde am 6. August eine der Gefangenen von Haus Fünf. Weil sie einen Spiegel mitnahm und den Einschluß verzögerte, wurde die Inhaftierte unter Totalverschluß auf die Abschirmstation verlegt. D.h. sie sitzt 23 Stunden allein in der Zelle, und der einstündige Hofgang wird sofort abgebrochen, wenn sie versucht, zu anderen Gefangenen Kontakt aufzunehmen. Außerdem wurde ihr sämtliche Privatkleidung abgenommen und das übliche Essensgeschirr gegen Plastikgeschirr ausgetauscht. Für sie fordern die Hungerstreikenden die sofortige Rückverlegung in den allgemeinen Vollzug. Senat bleibt hart Warum sich - trotz verbreiteter Unzufriedenheit im Knast - nicht mehr Frauen am Hungerstreik beteiligen, erklärt Susanne sehr einfach mit „Angst vor Repressalien“. Tatsächlich haben die Frauen aus dem „Normalstraferhaus“ mehr zu verlieren: die Möglichkeit von Ausgang und Urlaubsregelungen, die Perspektive einer 2/3–Entlassung, die für Frauen aus dem Drogenhaus so gut wie ausgeschlossen ist, wenn sie keinen Therapieplatz nachweisen. „Dieses System hat schon so gegriffen, daß viele Frauen hier sich ihre Persönlichkeit/Ziele haben zerstören lassen und nur noch als angepaßt fungieren“, beschreiben die Frauen in ihrer Hungerstreikerklärung die Folgen des Vollzugssystems. Und: „Wir wehren uns dagegen, unsere gesamte Kraft immer wieder zu vergeuden auf das Deutlichmachen einer Selbstverständlichkeit: Mensch zu sein!“ „Wir sind nicht in der Lage, die Forderungen zu erfüllen“, nahm der Pressesprecher des Justizsenats, Kähne, zum Hungerstreik der Frauen Stellung. Die Separierung der Drogenabhängigen bezeichnet er als „therapeutisch unverzichtbar“, um die Frauen vor Drogen zu bewahren. Jetzt, so behauptet er, sei die Anstalt „nahezu drogenfrei“. Daß die restriktiven Maßnahmen keinen therapeutischen Sinn haben, ist dagegen für die Frauen selbst sowie BesucherInnen völlig klar. Außerdem ist für alle, die Kontakt zum Frauenknast haben, offensichtlich, daß „Frauen, die das wollen, an Drogen rankommen. Und je mehr Repression, desto höher die Rückfallgefahr“. Als Reaktion auf ihren Hungerstreik wurden die vier Frauen der Therapiestation von Haus V auf verschiedene Stationen verlegt, weil sie Urinkontrollen und Gespräche verweigerten. Für die Frauen selbst ein Beweis, daß auch die Anstaltsleitung diese „Zwangstherapie“ nicht ernst nimmt, sondern nur als Druckmittel benutzt. Unterstützung von „draußen“ Außerhalb des Gefängnisses haben die Frauen inzwischen für ihren Protest Unterstützung aus unterschiedlichen Richtungen bekommen. Rund 20 Leute versammelten sich kurz nach Bekanntwerden des Hungerstreiks zu einer spontanen Nachtdemonstration vor dem Knast und warfen Leucht– und Knallkörper über die 5,60 m hohe Betonmauer, die sich 750 Meter lang um den Vollzugsbereich zieht und - einer modernen Festung ähnlich - von fünf Beobachtungstürmen aus bewacht werden kann. Bei der Solidaritätsaktion wurden einige Frauen vorübergehend festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Die Alternative Liste Berlins, die wiederholt die Schließung des Mammutprojekts gefordert hat, „begrüßt“ den Protest der Gefangenen, deren „Forderungen von der Justizverwaltung entsprochen werden“ müssen. Von Anbeginn an hat es gegen dieses Frauengefängnis massive Proteste gegeben, dessen Bau allein 177 Millionen Mark gekostet hat. Es wurde mit allen nur denkbaren Sicherheitsmaßnahmen ausgestattet, aber ein Vollzugskonzept im Interesse der Gefangenen hat es nie gegeben. Bei den Frauen im Knast ist die Stimmung bisher sehr gut und ihr Wille, weiterzumachen, trotz des verstärkten Drucks der Anstaltsleitung ungebrochen. Anfang dieser Woche wollen sich drei Frauen dem unbefristeten Hungerstreik anschließen, weitere wollen erneut Warn– und Solidaritäts–Hungerstreiks beginnen, wenn der Senat weiterhin nicht reagiert. Für die Koordination weiterer Unterstützung von außen ist für heute abend, um 19.00 Uhr, im Mehringhof in Berlin 61, Gneisenaustr. 2, eine Vollversammlung für alle Interessierten geplant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen