: Identifikationsfigur einer Generation
Im Grunde wußten es die rund 60.000 Zuschauer ja schon vorher - Madonna Louise Ciccione ist trotz ihrer 1,54 m die Größte. Nicht nur, weil dieser laufende Meter seit 1983 von nur drei Alben über 30 Millionen LPs verkauft und nach Elvis Presley und den Beatles die meisten Top Five–Hits in Folge gelandet hat, elf an der Zahl, sondern vor allem, weil dieser Derwisch mit dem süßesten Bauchnabel der Welt zur Kult– und Identifikationsfigur einer ganzen Generation wurde, die sich weder mit der Prüderie der Reagan–Ära noch mit den verlorenen Illusionen der 68er zufrieden geben will. „Safe Sex“ heißt Madonnas Devise im Zeitalter von AIDS und neuer Keuschheit, eine Botschaft, die in erster Linie die Teenager und Schulmädchen verstanden haben, die sich kein X mehr für ein U verkaufen lassen wollen, sondern stolz und aggressiv agieren, um das zu bekommen, was ihnen zusteht; was ihnen zusteht: die große Liebe ihres Lebens. Die große Liebe, unschuldig und grenzenlos, ist es dann auch, die Madonnas Songs wie ein roter Faden durchzieht. Von „Material Girl“, diesem allzu offenen Bekenntnis, daß frau leichter ans Ziel kommt, wenn sie die Lolita in sich herauskehrt, über „Like a Virgin“, eine Hymne auf jene Zeit, in der man noch an die große Liebe glauben konnte, weil die schmerzhaften Erfahrungen und Enttäuschungen noch bevorstanden, bis hin zu „True Blue“, einem der schönsten Liebeslieder der Popgeschichte überhaupt, mit dem Madonna den Girl Groups der frühen 60er Jahre ihre Reverenz erweist, hat sie immer wieder darüber reflektiert, wie man, vor allem aber frau, in dieser Welt zu rechtkommen kann. Eindeutig politisch war sie dabei nie, auch wenn sie ihre definitive Jugendhymne der ausgehenden 80er Jahre, die mit so viel Leidenschaft vorgetragenen Forderung „Papa dont preach“ (die in den USA eine Diskussion über Abtreibung entfachte) live mit Dias von Ronald Reagan und Karel Wojtila illustriert. Denn ähnlich wie Elvis in den muffigen 50ern ging es auch Madonna nie um eine vordergründige Systemveränderung, sondern vielmehr um „das heilige Recht der Jugend“ (Patti Smith), ihr/ sein eigenes Leben zu führen. Allein deshalb wird sie von den Kids abgöttisch geliebt und von berufsjugendlichen Redakteuren eines wöchentlich erscheinenden Alt– Herren–Magazins in hanebüchener Weise in die Pfanne gehauen: „Minnie Mouse auf Helium“? Madonnas Auftritt in Frankfurt machte aber auch einmal mehr deutlich, daß die Tage schweißtriefender Rock–Konzerte gezählt sind. Denn wer interessiert sich im Zeitalter der Video–Clips und Remixes noch dafür, ob igendeinem „Ausnahme“–Musiker ein Gitarrensolo besonders gut gelingt oder nicht? Schließlich erwartet man das von ihm, weil es sein Job ist. Madonna hat dies erkannt, und ihr Auftritt gleicht somit eher einem Musical, einer Broadway– Revue oder einer Comedy–Show, konzipiert für ein Massenpublikum, das unterhalten werden will und sich nach Abwechslung sehnt. Nicht allein ihr Gesang ist entscheidend, eine mindestens ebenso große Rolle spielen der Tanz und der permanente Wechsel der Garderobe, des Outfits. Madonna mcht Mode, läßt den Mariliyn–Monroe–Mythos neu auferstehen, kommt uns mal spanisch (“La Isla Bonita“) und mal als Peepshow–Vamp (“Open your heart“) daher, dann wieder romantisch (“Live to tell“) oder als wahre Schreckschraube und Karikatur einer englischen Hausfrau, Modell Elton John (“Dress you up“). Wobei sie den Rock hebt und dem Publikum ihren Po zuwendet, auf dem die eindeutig–zweideutige Aufforderung „Kiss“ zu lesen ist. Die Worte „Im not ashamed“ war kurz zuvor über die Video– Leinwände, die auch dem entfernt verweilenden Zuschauer es ermöglichten, das Geschehen auf der Bühne zu verfolgen. Trotzdem sucht sie immer wieder den Kontakt zum Publikum, beugt sich hinunter von dieser riesengroßen Bühne, ergreift Hände, und fragt plötzlich, ganz der Star, der sich seiner Macht bewußt ist, einen direkt vor ihr stehenden Jungen: „Wieviele Leute mußtest Du killen, um nach vorne zu kommen?“ Stundenlang hatten in Frankfurt Tausende von Fans aus der ganzen Bundesrepublik vor der Bühne ausgeharrt, um ihrem Idol möglichst nahe zu sein und aus kurzer Distanz eine Show zu erleben, die musikalisch hervorragend abgestimmt und perfekt getimed war. Selbst die langen Minuten, in denen Zugabe–Rufe das Stadionareal erschütterten und ein anhaltendes Pfeifkonzert die Luft vibrieren ließ, waren von Madonna Superstar fest eingeplant gewesen. - Zeit, um sich erneut umzuziehen, bevor das eigentliche Finale begann. Showbusiness, wie es momentan höchtens Prince oder Michael Jackson beherrschen, aber von Anfang bis Ende von dem sprühenden Charme dieser kleinen Italo–Amerikanerin aus der Motor– City Detroit dominiert, die innerhalb von fünf Jahren zum größten weiblichen Star der Popgeschichte avanciert ist. Jedenfalls kann man jetzt auch verstehen, warum Madonnas Ehemann und rechtmäßiger Besitzer - die k., der Schauspieler Sean Penn, ständig andere Typen vermöbelt. Hollow Skai
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen