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„Funk, Funk, Funk“

■ Ob der in Leder gehüllte Fernsehempfänger eine Neuheit ist, darüber kann man streiten. Auf der heute eröffneten Berliner Funkausstellung werden statt der medialen Superlativen nur Verbesserungen im Detail geboten. Die Macher hingegen proben die offene Materialschlacht, Öffentlich–Rechtliche gegen Private. Grenzen der Vielfalt zeigt der Fall des Springer–Kirch–Senders SAT 1.

Dem Regierenden Bürgermeister Diepgen eilt der Ruf voraus, in Medienfragen unbedarft zu sein. Lange Zeit wußte er nicht, daß diese Zeitung die einzig Überregionale in der von ihm regierten Stadt ist. Neulich brachte er sich in seiner Einschätzung über die Kapazitäten der Berliner Synchronisationsfirmen in arge Peinlichkeiten. Sie sind die besten. So ist es kein Wunder, daß der Medienpolitik des Senats bei allem (Ankündigungs–) Fleiß des Kultursenators Hassemer gewisser Dilettantismus nachgesagt wird, der zudem stadtbekannten Lobbyisten Tür und Tor öffnet. Schon werden dem Ex–Filmer und Freund aller Baulöwen, Ulrich Schamoni, gute Chancen eingeräumt, unter dem Dach von SAT 1 und dem geplanten RIAS–Fernsehen im nächsten Jahr als Lokal–TV getarnt eine telegene „Schmeichelwelle“ einzurichten. Bisher hat sein Radio „100, sex“ vor allem durch schwülstige „Hörerotik“ von sich Reden gemacht. Und weil da die Kooperation mit Springers Boulevardblatt BZ so gut klappt, gibt es Vermutungen, daß der Verlag, der bereits knapp 80 Prozent des Berliner Pressemarktes kontrolliert, neben SAT 1 auch Schamonis Fernsehträume realisieren hilft. Mit der einst von den CDU–Politikern gerühmten neuen Vielfalt für die Berliner Konsumenten ist es also nicht so weit her. Ihnen bleibt höchstens der Offene und ein Mischkanal sowie der in der Szene verharrende Alternativsender Radio 100. Kultursenator Hassemer gab zu, daß die Wünsche nicht in Erfüllung gegangen seien. Statt dessen blieben diverse Berliner Lokalanbieter auf der Strecke. Bis heute mangelt es an neuen Initiaven und Anstößen, kommt nur ein unseliges Gerangel über einen Kulturkanal in Gang, von dem kei ner weiß, wer ihn finanzieren soll. Dabei sind die Berliner alles andere als Medienmuffel. Sie haben im Vergleich zu anderen bundesdeutschen Großstädten schon jetzt die größte Auswahl an Tageszeitungen (sieben mit Lokalteilen), können inclusive der DDR–Sender und der Alliierten zwischen acht TV–Programmen wählen und wollen nach neuesten Meinungsumfragen immer noch mehr Programme. Dabei sehen sie nicht nur länger fern, sondern gehen auch noch deutlich häufiger ins Kino als die „Wessis“. Marktmäßig kann sich Berlin also durchaus anheischig machen, Medienstädten wie München oder Hamburg den Rang abzulaufen. Und mit der alle zwei Jahre stattfindenden Funkausstellung gelingt ihr das wenigstens auch in dieser Zeit. Extra zum Medienfest wurden von der Messegesellschaft 900 Hektoliter Bier, 240.000 Colagetränke, 90.000 Bockwürste und schließlich 70.000 Bouletten geordert. Fernsehen macht hungrig, das weiß der Pantoffelcineast. „ARD plus ZDF - bärenstark“ ist das Motto der beiden öffentlich–rechtlichen Anstalten, mit dem sie dem Publikum heile Fernsehwelt vorgaukeln wollen. Mit 200 Stunden TV und 225 Hörfunkstunden stellen sie ihre „Leistungsfähigkeit“ unter Beweis. „Für zehn Tage öffnen wir uns direkt dem Publikum“, lobte der ARD–Verantwortliche, Jaro Stanislav, die 3,9 Mio. Mark schwere Unternehmung, mit der ganze Marschkolonnen von Stars und Sternchen in Gang gesetzt werden. Auch wenn der Minutenpreis mit 1.100 DM bei der „Goldenen Eins“ unter dem sonst normalen Satz von 2.000 Mark liegen soll, ist nicht zu verkennen, daß man es der privaten Konkurrenz noch einmal deutlich zeigen will. Hinter Glitzer und Glamour kann man das allenthalben auf dem Messegelände zu hörende Wehklagen über mangelnde Flexibilität und Mobilität der TV–Mammutorganisationen ganz gut verstecken. Stanislav selbst räumt ein: „Unser Programm ist heute schon fragwürdig, bei den Privaten“, tröstet er sich, „ist es nur noch fragwürdig“. SAT 1 und RTL plus lassen sich deshalb auch ungern in die Karten schauen. Ihre eingesetzte „manpower“ liegt mit jeweils rund 25 Leuten weit unter dem öffentlich–rechtlichen Standard mit 180. Während RTL plus auf den 5. Oktober vertrösten muß - dann startet es mit einem Frühstücksfernsehen - kann SAT 1 neben dem Berlin–Start über Antenne wenigstens ein Bonbon bieten: die Übertragung der Tennismeisterschaften in Flushing Meadow. Wie hoch der Preis ist für den exclusiven Part, wurde bisher natürlich nicht verraten. „Radio Glasnost“ hingegen, Exklusivität außerhalb der Medienshow, versprechen ab Montag die Alternativradioten von Radio 100 in der Potsdamer Straße. Sie wollen regelmäßig das in den Äther bringen, was Ostbürger für Ostbürger produziert haben, ganz „außer Kontrolle“.

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